ihr
magen drehte sich in die eine richtung, während die welt immer
rascher in der anderen um sie kreiste – eine kombination, die das
würgen, das sie bereits seit tagen in sich verspürte, noch
verstärkte.
„atme,
verdammt! atme!“ mahnte sie sich innerlich schroff und fast
verzweifelt zur ruhe. versuchte die panik niederzukämpfen, die
gefährlich nah an die oberkante ihrer fassung schwappte.
da
war nichts mehr, was trug. kein boden unter ihren füßen und kein
halt, der ihr ermöglicht hätte ihr schwanken, hervorgerufen vom
schwindelgefühl der ohnmacht, zu stoppen und sie zu stabilisieren.
sie
hätte sich am liebsten ganz klein in sich zusammengezogen. wäre
gern in ihr selbst verschwunden. innen drin fühlte es sich auch an,
als hätten ihre eingeweide genau das zu tun begonnen. eine art von
implodieren, ein sich-auflösen, das zumindest den vorteil gehabt
hätte, den druck nicht mehr ertragen zu müssen, der nun schon so
lange auf ihr lastete, ihr die luft nahm und jegliche orientierung.
das
war alles, was sie noch fühlen konnte. es hatte den platz
eingenommen, an den jene empfindungen hingehört hätten, die mit
ihren eigenen bedürfnissen zu tun hatten.
„bedürfnisse“
- sie betrachtete dieses wort gebannt und in sich gekehrt, als wäre
es ihr völlig fremd.
so,
wie worte, wenn man sie ganz oft hintereinander ausspricht, plötzlich
ihren sinn verlieren und zu einem klang werden, der losgelöst ist
von jeglicher bedeutung. sie machte das manchmal. eins der
lieblingsworte, die sie sich in regelmäßigen abständen derart
entfremdete, war „woche“.
„woche
woche woche woche woch e wo che wo chewo ch ewoche wochewo chewo ch e
wo...chhhhh“
was
war das? woche. es begann für die „anderen“ meist montags und
endete freitag abends. da gab es dann so etwas wie ein wochenende.
was ja wieder den anfang von einer neuen woche andeutete. den anfang
von irgendetwas. wenigstens etwas, das anfing.
in
ihrem leben gab es schon so lange keinen anfang. auch irgendwie kein
ende. sie hätte auch nicht gewusst, wovon. ein ende vom enden des
anfangs, der doch nie begann? ein anfang nach einem ende von etwas,
an das sie keine erinnerung mehr hatte, weil dafür kein platz mehr
in ihrem jetzigen leben war? wie fühlte es sich an zu enden? hätte
es etwas erlösendes? was würde enden? das nichts, das sie lebte,
konnte doch gar nicht enden. dazu hätte ja etwas vorhanden sein
müssen, das einen anfang und ein ende besaß.
da
war sie wieder, diese schleife in ihrem kopf. endlos, ausweglos,
spiralkurven in die tiefe drehend und sie sogartig nach unten
ziehend.
„atme!
hör nicht auf damit!“ zischte sie sich zwischen zusammengebissenen
zähnen zu. der atem beruhigte sie. er verließ ihren körper in
einer geraden bewegung und strömte ebenso gerade auf sie zu und in
sie ein. erfüllte ihr nichts mit luft und ließ eine ahnung an das
gefühl von kontrolle aufkommen. auch etwas, an das sie sich nur
verschwommen erinnerte.
„kontrolle“.
etwas, das nur von außen auf sie einwirkte. stets. immer.
ununterbrochen.
irgendwann
war ihre alleinige lebensaufgabe geworden, zu funktionieren. einer
kontrolle standzuhalten. ergebnisse zu liefern, die nicht als
ausschuss auffielen und deshalb ausgemustert gehörten. „muster“.
an ihnen konnte man sich festhalten. da war das muster für „tag“
- aufstehen, atmen, arbeiten, essen, atmen, schlafen.
ein
muster für „liebe“ - aufmerksamkeit schenken, wünsche von den
augen ablesen, immer für ihn da sein, wenn er da war, zärtlichkeit
geben, nicht zur last fallen.
und
eines für „glück“ - ein dach überm kopf, nicht allein sein,
ein gewisses maß an gesundheit sein eigen nennen und nicht hungern müssen.
es
ging ihr doch bestens! sie hatte ja stets volle tage, liebe und
glück. warum also immer diese angst und diese leere? warum dieses
empfinden, sie müsste sich doch eigentlich lebendiger fühlen und
konnte es nur aufgrund irgendeines defektes ihrer persönlichkeit
nicht?
„bedürfnisse
bedürfnisse bedürfnissebe dürfni ssebed ürfnis sebe dür fnisse
bed ürf nisse bedürftige nisse nie dürfen nissen wie du bedürftig
sein. nie! du nisse!“
die
stimme in ihrem kopf klang vertraut, als sie so zu ihr sprach.
das
kreisen hatte sich nun eine achse tiefer verlagert.
sie
hatte begonnen sich langsam in den asphalt zu bohren.
„selbstschneidendes gewinde!“ schoss es ihr durch den kopf.
gleich würde sie spurlos vom erdboden getilgt sein. der gedanke
hatte etwas erlösendes. etwas, das nie einen anfang gehabt hatte,
hätte nun wenigstens sein ende gefunden.
seltsam
ruhig und erstmals ganz ohne angst sagte sie mit fester stimme
„spax!“. dann schloss sich der boden über ihr. spurlos und ohne
das geringste geräusch.
als
sie am nächsten tag und auch am übernächsten und dem tag danach
und dem danach nicht zur arbeit auf der pflegestation erschien,
begann man sie zu vermissen. es war einfach zuviel arbeit
liegengeblieben, als dass man es noch länger hätte übersehen
können.
.2009