Donnerstag, 16. März 2023

Vom Rauschen in den Zweigen

Ach, Baum - du Freund am Wegesrand!
Hab dich als Kind schon alt gekannt:
mit bleicher Rinde, tief gekerbt,
von Flechtensprenkeln tupfgefärbt.

Du standest fest an jedem Tag,
so lang zu denken ich vermag,
und beugtest nur dem Sturm dein Haupt,
wenn herbstens Blätter er geraubt.

Es stand dies damals für mich fest:
ich werde Baum, und mein Geäst
gäb' unterm Blätterdach den Raum
für Spiel, Tanz, Liebe, Kindertraum!

Dann zog ich fort voll Tatendrang.
Vergaß in meinem Überschwang
dich, alten Freund, im Rindenkleid:
du standest fest - die Welt so weit!

Doch hat mich Lebenszeit gelehrt:
kein Mensch, kein Baum bleibt unbeschwert.
Es wird nur stark, wer Schwäche kennt,
wer Dunkelheit mit Licht verbrennt.

Es steht entschlossen nur, wer weiß,
welch Widerstand ist wert den Preis;
der sich auch beugte, sanft wie Gras,
und seine Wurzeln nicht vergaß.

Nun bin ich heimgekehrt zu dir.
Hab manche Reise hinter mir
und aus dem Streben von hier fort,
da wurd' ein Sehnen nach dem Ort,

an welchem stets am Wegesrand
dich stillen, sanften Freund ich fand.
Der niemals fragt nach dem Warum.
An dessen Stamm ich gern verstumm.

Fühl' über mir den Blätterreigen,
mach' dieses Beben mir zu eigen.
Kann nun mein Haupt zur Rinde neigen
und lausch' dem Rauschen
in den Zweigen.




.jan_2023