Montag, 27. Februar 2017

niemals jemals

selten hat mich jemand
so wie du
berührt

niemals jemand
so wie du
verführt

nie zuvor mich jemand
so wie du
gesehen

werd ich jemals
dieses glück
verstehen?




.jan_2013

Mittwoch, 22. Februar 2017

Fog






.text und bilder: nov_2015

Donnerstag, 2. Februar 2017

Winterwald-Villanelle

Im Winterwald ist heute Feen-und Elfenball,
geladen sind die wundersamsten Gäste!
Es tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl.

Da freun sich Faune auf die Damenwahl
beim feierlichsten aller Jahreszeitenfeste.
Im Winterwald ist heute Feen- und Elfenball!

Weich fallen Nymphenkleider, lang und schmal,
der Zwerg von Welt trägt seine beste Weste!
Es tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl.

Kalt prickelt Schaumwein im Kristallpokal
und am Buffet speist man stets nur das Beste.
Im Winterwald ist heute Feen- und Elfenball!

Sieh nur, welch Reigen unter Mondes Strahl,
Schneeglanz im feinsten aller Tanzpaläste!
Es tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl!

Vergleichbar Schönes gibt’s nicht nocheinmal!
Es zeugen tags darauf davon nicht einmal Reste.
Im Winterwald ist heute Feen- und Elfenball.
Es tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl!




.2009


zwischenraum

aufrecht steh ich
unter bäumen
nicht verwurzelt
zwischen räumen

keine lücke
da für mich?

stehe still
zu meinen füßen
fühle leben
ringsum sprießen

spür mir nach
hier innerlich

morgentau
auf meiner haut
rindengleich
rau und ergraut

wald und alt sein
möchte ich

wachsen
blühen
summen
fließen
ganz meine natur
genießen

so im dickicht
find ich mich







.2008

walderzählung

raue rinde

flüster in mein ohr
aus deinen tausend mündern
vom winterwind
der an dir zerrte

von freund specht
der in dir hauste
vom flechtenkleid
das dich im norden wärmte

und vom knarrenden
chorgesang der jahre
imitten deiner brüder hier

ich lege meine wange
an deinen stamm
fühle abschied

mit deinem letzten laut
wirst du den wald zerspalten
zur ruhe kommen

auf totem laub




.2009

Mal eben rasch

Ich schreib mal eben rasch ne Villanelle,
weil 's mich entspannt und gute Laune bringt
so ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.

Vergrätz damit so manche Dichterseele,
sag ich - was zum Poetenhimmel stinkt - :
"ich schreib mal eben rasch ne Villanelle."

Verleih der Dichterwürde eine Delle,
weil sie husch-pfusch die Vorgehnsweise dünkt,
so ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.

Drum geh in Deckung ich nun auf der Stelle
und ruf von dort, sobald mir dies gelingt:
"ich schreib mal eben rasch ne Villanelle!"

Im allerseltensten Fall aller Fälle
man lockerlässig diese Form bezwingt
so ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.

Doch ich schwimm auf des Größenwahnes Welle,
was wohl den Dichterleichtsinn hier bedingt.
Ich schreib mal eben rasch ne Villanelle

so ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.



.2009

spax (selbstschneidend, mit kreuz)

ihr magen drehte sich in die eine richtung, während die welt immer rascher in der anderen um sie kreiste – eine kombination, die das würgen, das sie bereits seit tagen in sich verspürte, noch verstärkte.

atme, verdammt! atme!“ mahnte sie sich innerlich schroff und fast verzweifelt zur ruhe. versuchte die panik niederzukämpfen, die gefährlich nah an die oberkante ihrer fassung schwappte.

da war nichts mehr, was trug. kein boden unter ihren füßen und kein halt, der ihr ermöglicht hätte ihr schwanken, hervorgerufen vom schwindelgefühl der ohnmacht, zu stoppen und sie zu stabilisieren.

sie hätte sich am liebsten ganz klein in sich zusammengezogen. wäre gern in ihr selbst verschwunden. innen drin fühlte es sich auch an, als hätten ihre eingeweide genau das zu tun begonnen. eine art von implodieren, ein sich-auflösen, das zumindest den vorteil gehabt hätte, den druck nicht mehr ertragen zu müssen, der nun schon so lange auf ihr lastete, ihr die luft nahm und jegliche orientierung.

das war alles, was sie noch fühlen konnte. es hatte den platz eingenommen, an den jene empfindungen hingehört hätten, die mit ihren eigenen bedürfnissen zu tun hatten.
bedürfnisse“ - sie betrachtete dieses wort gebannt und in sich gekehrt, als wäre es ihr völlig fremd.

so, wie worte, wenn man sie ganz oft hintereinander ausspricht, plötzlich ihren sinn verlieren und zu einem klang werden, der losgelöst ist von jeglicher bedeutung. sie machte das manchmal. eins der lieblingsworte, die sie sich in regelmäßigen abständen derart entfremdete, war „woche“.

woche woche woche woche woch e wo che wo chewo ch ewoche wochewo chewo ch e wo...chhhhh“

was war das? woche. es begann für die „anderen“ meist montags und endete freitag abends. da gab es dann so etwas wie ein wochenende. was ja wieder den anfang von einer neuen woche andeutete. den anfang von irgendetwas. wenigstens etwas, das anfing.

in ihrem leben gab es schon so lange keinen anfang. auch irgendwie kein ende. sie hätte auch nicht gewusst, wovon. ein ende vom enden des anfangs, der doch nie begann? ein anfang nach einem ende von etwas, an das sie keine erinnerung mehr hatte, weil dafür kein platz mehr in ihrem jetzigen leben war? wie fühlte es sich an zu enden? hätte es etwas erlösendes? was würde enden? das nichts, das sie lebte, konnte doch gar nicht enden. dazu hätte ja etwas vorhanden sein müssen, das einen anfang und ein ende besaß.

da war sie wieder, diese schleife in ihrem kopf. endlos, ausweglos, spiralkurven in die tiefe drehend und sie sogartig nach unten ziehend.
atme! hör nicht auf damit!“ zischte sie sich zwischen zusammengebissenen zähnen zu. der atem beruhigte sie. er verließ ihren körper in einer geraden bewegung und strömte ebenso gerade auf sie zu und in sie ein. erfüllte ihr nichts mit luft und ließ eine ahnung an das gefühl von kontrolle aufkommen. auch etwas, an das sie sich nur verschwommen erinnerte.

kontrolle“. etwas, das nur von außen auf sie einwirkte. stets. immer. ununterbrochen.

irgendwann war ihre alleinige lebensaufgabe geworden, zu funktionieren. einer kontrolle standzuhalten. ergebnisse zu liefern, die nicht als ausschuss auffielen und deshalb ausgemustert gehörten. „muster“. an ihnen konnte man sich festhalten. da war das muster für „tag“ - aufstehen, atmen, arbeiten, essen, atmen, schlafen.

ein muster für „liebe“ - aufmerksamkeit schenken, wünsche von den augen ablesen, immer für ihn da sein, wenn er da war, zärtlichkeit geben, nicht zur last fallen.

und eines für „glück“ - ein dach überm kopf, nicht allein sein, ein gewisses maß an gesundheit sein eigen nennen und nicht hungern müssen.

es ging ihr doch bestens! sie hatte ja stets volle tage, liebe und glück. warum also immer diese angst und diese leere? warum dieses empfinden, sie müsste sich doch eigentlich lebendiger fühlen und konnte es nur aufgrund irgendeines defektes ihrer persönlichkeit nicht?

bedürfnisse bedürfnisse bedürfnissebe dürfni ssebed ürfnis sebe dür fnisse bed ürf nisse bedürftige nisse nie dürfen nissen wie du bedürftig sein. nie! du nisse!“
die stimme in ihrem kopf klang vertraut, als sie so zu ihr sprach.
das kreisen hatte sich nun eine achse tiefer verlagert.

sie hatte begonnen sich langsam in den asphalt zu bohren. „selbstschneidendes gewinde!“ schoss es ihr durch den kopf. gleich würde sie spurlos vom erdboden getilgt sein. der gedanke hatte etwas erlösendes. etwas, das nie einen anfang gehabt hatte, hätte nun wenigstens sein ende gefunden.

seltsam ruhig und erstmals ganz ohne angst sagte sie mit fester stimme „spax!“. dann schloss sich der boden über ihr. spurlos und ohne das geringste geräusch.

als sie am nächsten tag und auch am übernächsten und dem tag danach und dem danach nicht zur arbeit auf der pflegestation erschien, begann man sie zu vermissen. es war einfach zuviel arbeit liegengeblieben, als dass man es noch länger hätte übersehen können.




.2009 

basislager

wieder war sie allein bis um die nächste biegung gegangen, von wo aus man den gipfel sehen konnte und hatte ihn beim zelt zurückgelassen.
er war – wie so oft – damit beschäftigt, die heringe tiefer zurück ins karge erdreich zu schlagen, die sich im verlauf der zeit stückchenweise wieder herausbewegten. teils, weil der wind an den zeltschnüren zerrte, teils, weil sie beide beim betreten und verlassen des zeltes an ihnen zogen und die konstruktion so wieder lockerten.

wie lange würden sie noch hier im basislager bleiben müssen? sie fühlte den rauen bergwind an ihrer haut. wie er versuchte, an ihr zu greifen, um sie stückchenweise abzutragen. so, wie er es mit dem berg selbst tat. sie schloss die augen für einen moment um nur zu fühlen, zog dann die jacke fester um sich und stellte den kragen auf. blinzelnd fixierte sie den gipfel. dort wollte sie hin. mit ihm. sie erinnerte sich nicht mehr genau, wann sie dieses ziel festgelegt hatten und warum die wahl auf genau diesen gipfel gefallen war. es war wohl eine ihrer typischen bauchgefühlsentscheidungen gewesen.

und wie immer hatte er vermutlich nicht viel dazu beigetragen, außer an den entscheidenden stellen zu schweigen. dort, wo sie ihm ihre sehnsucht mitgeteilt hatte. sie liebte es, ihm von ihren sehnsüchten zu erzählen und hielt sie bei ihm für in guten händen. er schwieg dann immer und unterbrach nur selten. sie hatte ihn für sein aufmerksames und verständiges schweigen immer geachtet.
er war so anders als sie. sie ergänzten einander in so vielen dingen, wo sie einander gut taten. doch seit sie zu dieser expedition aufgebrochen waren, war sie sich vieler dinge nicht mehr so sicher.

der wind war hier oben ein ständiger gefährte. er umraunte und bewisperte tag und nacht ihr lager, spielte seine melodie auf den saiten der zeltschnüre und trug ihnen herrlich verlockende gipfelluft zu. sie konnte sich eine stille ohne ihn gar nicht mehr vorstellen.

stille. sie redeten nicht mehr viel miteinander in den letzten tagen. wieviel zeit hatten sie hier auf dem ersten plateau bereits zugebracht? eine kleine ewigkeit, wie ihr schien. doch er meinte, sie könnten erst weiter, wenn das lager hier in einem solchen zustand wäre, dass es durch nichts gefährdet sein konnte. er hatte seine überlegungen wie immer gründlich dargelegt und sie hatte nichts dagegen einzuwenden gewusst.

jeden tag hatte sie ihn zu überreden versucht, mit ihr um diese biegung zu gehen und gemeinsam den gipfel zu betrachten. ihr gemeinsames ziel. doch es hatte immer einen grund für ihn gegeben, im lager zu bleiben. also war sie jeden tag allein gegangen.
in der zwischenzeit hatte er sich darum gekümmert, alles sauber zu halten. frischen tee zu machen und den proviant täglich neu zu kontrollieren. anfangs hatten sie noch gemeinsam über dem campingkocher ihr essen zubereitet und es aufregend romantisch gefunden. doch irgendwann hatte sie gelangweilt vom ewiggleichen aufgehört dabei zu helfen und war lieber zur biegung gewandert, um den gipfel zu sehen. er hatte also auch das von da an alleine erledigt. ebenso wie die immer wieder neu zu erstellenden kalkulationen der essensrationierung für die weitere wegstrecke.

die gründlichkeit mit der er diese dinge erledigte, gab ihm dabei etwas für sie so „ausschließliches“. stets, wenn sie von ihrem täglichen gang zur biegung zurückkam, war er in eine dieser tätigkeiten versunken gewesen und hatte sie kaum wahrgenommen. da er alles viel sorgfältiger und gewissenhafter erledigte als sie es je vermochte, waren allmählich alle verrichtungen und pflichten an ihn übergegangen.

sie war nur noch beobachterin, durfte sich in seinem heim geborgen fühlen und die von ihm zubereitete nahrung genießen. auch den schnee zum schmelzen des kochwassers besorgte er. zu gefährlich für sie, wie er meinte. sie war sein ein und alles, das nicht unnötig gefährdet werden sollte. und außerdem wusste er besser, wo die saubersten stellen mit dem reinsten schnee zu finden waren.

manchesmal, wenn sie um die biegung gegangen und so seinen blicken entzogen war, hatte sie sich dort in der deckung eine handvoll schmutzigen schnees in den mund geschoben, ohne diesen vorher von erd- oder pflanzenresten zu säubern. wenn sie danach zu ihm zurückgekommen war, hatte sie sich stets innerlich beschmutzt gefühlt. doch niemals waren die verdienten magenschmerzen oder andere beschwerden eingetreten.

sie beneidete ihn um die zufriedenheit, um diese erfülltheit, die er darin fand, das basislager zu hegen und zu pflegen. all diese kleinen handgriffe, die sie so ärgerten, weil sie stets aufs neue zu erledigen waren, verrichtete er mit einer hingabe, die sie nur in situationen aufbrachte, die für sie aus dem alltäglichen herausragten. sie beobachtete ihn oft beinah befremdet, wenn er seine kontrollgänge um das zelt vornahm und den halt der schnüre und heringe prüfte. da und dort liebevoll nachkorrigierte.

so würde sie das nie können. es war ihr keine erfüllung und sie fühlte sich ihm darin unendlich fern.

mittlerweile hatte sie sich bei ihren alleingängen hinter die biegung angewöhnt noch ein stück weiter bis an eine klippe zu wandern. sie hatte ihm diese klippe bewusst verschwiegen. erst noch, um ihn nicht unnötig zu beunruhigen. sie wusste ja, dass er sich sorgte. inzwischen war es zu etwas geworden, das sie nicht mit ihm teilen wollte.


....

sie war zunächst nur in die nähe der schroffen kante gegangen, hinter der es in die tiefe zu gehen schien. der kitzel dieses leise geahnten wagnisses war ihr vorerst genug gewesen. sie wollte sich ja nicht ernsthaft in gefahr bringen. was würde er ohne sie anfangen, wenn ihr etwas zustieß, nur, weil sie einmal unbedacht handelte?

doch in weiterer folge war sie jedesmal ein stückchen näher an den abgrund herangetreten. nicht sehen zu können, was in der tiefe auf sie warten mochte, übte eine geradezu magische anziehung auf sie aus. tief in ihrem inneren hatte sich etwas zu regen begonnen. lebendig fühlte es sich an. so herrlich lebendig inmitten all der erstarrung der so gehegten und gepflegten sicherheit.

seitdem war sie stets wundersam belebt, ja gradezu erregt zu ihm in das basislager zurückgekehrt. seine bedachtsamkeit war ihr dann im kontrast zu ihrer inneren unrast nur noch gegensätzlicher und fremder erschienen. er musste ihr doch förmlich ansehen, dass in ihrem inneren etwas zu brodeln begonnen hatte. ein sehnen, das nun geweckt worden und eben erst daran war, all seine energien zu entfalten. all seine köstlichen, verlockenden aromen.

gipfelduft und feuchtkühler süßlicher geruch modrigen laubs und morscher, gefallener stämme an schroffen steilhängen unter ihr aus vergessenen, unentdeckten tiefen. beides umspülte sie dort an der klippe, währnd sie dabei den herrlich schmutzigen schnee auf der zunge zerschmelzen ließ. jeden tag. drang über jeden ihrer sinne tief in sie und zog sie unentrinnbar weiter mit sich, hin zur kante.

doch er hatte ihr nur jedesmal sein übliches, warmes lächeln geschenkt, ihr einen flüchtigen kuss auf die windgekühlte wange gedrückt und sich dann wieder seinen pflichten im lager zugewendet. es war das, was er für sie tun konnte. das, was er gut konnte. sie wusste das. dennoch genügte es ihr plötzlich nicht mehr. und sie hasste sich für ihre unbescheidenheit. sie war in ihren augen eine verräterin an ihrem gemeinsamen glück.

sie hätte so gern das lebendige, das sie dort an der klippe fand, mit ihm geteilt. vielleicht, wenn sie ihn nur endlich leidenschaftlich genug küsste und dabei ihr ganzes sehnen, die ganze lebendigkeit, die sie von dort mitgenommen hatte, in ihn zu atmen vermochte, würde er erkennen!
sie versuchte es jeden tag aufs neue. irgendwann schließlich mit tränen in den augen. lang und mit all ihrer seele. wenn sie es nur richtig anstellte, musste er doch irgendwann das fühlen und verstehen, was sie ihm so verzweifelt versuchte beizubringen.

doch so, wie all ihre worte versagt hatten, versagten auch ihre küsse. schließlich gab sie auch das auf und küsste von da an nur noch mechanisch. alles andere schmerzte zu sehr. wenn es ihm aufgefallen war, so zeigte er es nicht. wenn er sich sorgte, weil sie in letzter zeit immer öfter weinen musste, wenn er ihr nahe kam, so gelang es ihm, auch das gut zu verbergen.

die zeit heilt alle wunden“ würde er wohl zu ihr sagen, um sie zu trösten. er würde es mit all seiner liebe zu ihr in der stimme sagen. das wusste sie.
doch nun war es die zeit, die die wunden schlug und jeden tag weiter aufriss. also war sie froh, dass er die worte nicht aussprach. sie wusste nicht, ob sie sie und seine liebe darin hätte ertragen können.

sie hatte begonnen, die worte auf kleine zettelchen zu schreiben und diese zu papierpropellern zu falten, die sie dann über die kante schickte. ihnen beim hinuntertrudeln zuzusehen, hatte etwas tröstliches, auch wenn sie nicht genau hätte sagen können, warum.

mit der zeit hatte sie sich auf dem bauch robbend bis an die kante vorgewagt. sie streckte ihren kopf darüber, um den propellern bei ihrem abwärtsflug in die tiefe zuzusehen. manche verfingen sich, zu nah an den schroffen steilhang geweht, im gestein, wo sie ab und zu noch vom wind erfasst zuckten, als lägen sie in ihren letzten verzweifelten zügen. andere entschwanden sacht tiefertrudelnd ihrem blick. sie stellte sich dann vor, wie diese behütet auf der talsohle landeten, um dort eine neue welt zu erkunden.

sie ertappte sich eines tages dabei, dass sie währenddessen ein lied einer ihrer lieblingssängerinnen summte, das sie schon gemocht hatte, lange bevor sie ihn kennen- und lieben gelernt hatte. plötzlich machte der text sinn!

...every morning I walk towards the edge
and throw little things off.
like carparts, bottles and cutlery,
whatever I find lying around.
I listen to the sounds they make
on their way down,
I follow with my eyes 'til they crash.
I imagine what my body would sound like
slamming against those rocks...
and when it lands,
will my eyes be closed or open?
I go through all this before you wake up,
so i can feel happier to be safe up here with you.“

und sie verstand und erkannte: sie war die person in dem lied! und sie war sie schon immer gewesen.

würde auch ihr genügen, dinge über die klippe zu werfen und der fantasie den rest zu überlassen? vermutlich musste sie nicht alles mit ihm teilen. sehr wahrscheinlich konnte sie das auch gar nicht. so, wie ihre papierwünsche ihren weg in die tiefe fanden, würde auch sie den ihren finden. nicht immer an seiner seite, für sich allein und dorthin getragen, wo der wind es für sie vorgesehen hatte.

sie rappelte sich hoch auf ihre knie, weg von der kante, um sich auf den rückweg ins basislager zu machen. den anblick des von wind und wetter zerfetzt in der felswand hängenden papierpropellers einige wenige meter tiefer unter ihr sperrte sie tief in ihrem innersten ein, um ihn dort so gut wie möglich zu vergessen.

während des rückwegs beschloss sie, ihn zu fragen, ob er im basislager auf ihre heimkehr warten würde, wenn sie allein richtung gipfel aufbräche. vielleicht würde er sie ja dann wenigstens vermissen. sie wusste, sie würde ihm damit wehtun. vielleicht würde er ja dann nachfühlen können, welche schmerzen sie schon viel zu lange für sie beide mit sich herumtrug.

sicher war sie sich allerdings bei gar nichts mehr. und war nicht die sicherheit das, wovon sie sich wegbewegen wollte? es war diese verfluchte sicherheit, die sie so lebensmüde machte.


gipfelluft drang in sie ein und begleitete sie auf ihrem weg. zurück zu ihm.




.2008
zitat liedtext: björk, "hyperballad"

Die Asphaltfee und der Keiler

solange die asphaltfee sich erinnern konnte, war alles grau, hartkantig und kalt , wenn sie alleine durch die großstadtschluchten ihres reviers wanderte.

leere fensteraugenhöhlen starrten teilnahmslos und starr in reih und glied auf sie herab. fußgänger, die ihren weg kreuzten, sahen durch sie hindurch, in gedanken versunken, als wäre sie gar nicht da. sie war es gewohnt und fühlte sich in der vertrautheit der anonymität wohl.
meistens zumindest. nur manchmal war da dieses leise sehnen. wie eine erinnerung, die ihr stets entschlüpfte, bevor sie ihrer ganz habhaft werden konnte.

als sie dem keiler begegnete, lag frühlingserwachen in der luft, das sich bis in die tiefen der betonwälder gedrängt hatte. schon den ganzen tag waren ihre sinne bereit für ein erblühen, auch wenn sie noch nicht wusste, was da zu sprießen begonnen hatte.

plötzlich stand er einfach vor ihr. an der kreuzung im morgenlicht einer sonne, die nur an schmalen stellen ihren weg zwischen den schluchten hindurch ins herz der stadt fand. mitten in der verkehrshektik der städtischen betriebsamkeit. sein fell war dicht und borstig, sein geruch so naturnah, dass die menschen in ihren business-outfits furchtsam einen großen bogen um ihn machten, um nur ja nicht mit ihm in berührung zu geraten.

doch er ignorierte sie einfach. stand dort. unverrückbar und grunzte. ungeniert, laut und genüsslich. so fremd war der klang seiner laute hier in der city, dass er sich von all den motorengeräuschen, klappernden absätzen eifriger büro-ladies, fahrradklingeln und straßenbahngebimmel und -gequietsche abhob. wie ein ton, der herausfiel aus dem ganzen, weil er nicht hierhergehörte und dennoch sein ganz eigenes revier damit in anspruch nahm.

sein blick war auf sie gefallen.
sie war abwartend erst einmal still stehengeblieben. war einerseits auf der hut, andererseits wollte sie dieses stolze tier nicht verschrecken oder gar gegen sie aufbringen. ihr instinkt sagte ihr, dass es sich ebenso ein klein wenig fremd in seinem eigenen revier hier fühlte wie sie auch manchesmal. so, wie sie sich hinter der fassade der ruhigen, unnahbaren versteckte, ahnte sie, dass seine fassade des lauten, wilden tieres etwas verbarg, das sich nach sanftheit sehnte. nach berührt-werden und stillhalten-dürfen, ganz ohne gefahr.

sie streckte sachte die hand nach ihm aus. zwischen ihnen lagen noch gut vier, fünf meter. dennoch knisterte das fell des keilers leise und einige der borsten richteten sich auf, als würden sie elektrisch angezogen von ihren fingern. auch sie konnte ein zartes kribbeln in ihren fingerspitzen wahrnehmen.

gebannt von der gegenseitigen anziehung, bewegten sie sich aufeinander zu. langsam, dennoch stetig und von einer neugier getrieben, die mehr war als bloßer wissensdurst.

er reichte ihr bis an die taille. seine hauer waren stattlich, wie seine ganze erscheinung und standen in starkem kontrast zu ihrer zartheit. doch in seinen augen lagen ein erkennen und eine einladung. sanft glänzten sie ihr entgegen, während sie einen fuß vor den anderen setzte.

er war mitten auf der kreuzung und den darauf verlaufenden straßenbahnschienen stehen geblieben, doch anstatt – wie sonst auch – wütend zu bimmeln, hielt der wagenführer den zug einfach an. auch die anderen fahrzeuge und passanten waren zum stillstand gekommen. erstarrt, als hätte eine unsichtbare hand den film angehalten. nur noch sie und der keiler. keine geräusche drangen zu ihnen durch. nicht die kleinste regung.

der keiler grunzte noch einmal leise und schüttelte seinen massigen kopf, als sie ganz langsam vor ihm in die hocke ging. ihr herz schlug bis zum hals. doch das sehnen war erwacht und einfach stärker als jede furcht. sie musste ihn berühren!

vorsichtig legte sie ihre hand an seinen nacken. ihre finger berührten weiche, warme, starke, geschmeidige borsten. ihre augen registrierten sein zartes, angespanntes zittern, das unter dem fell entlanglief. ihre nase roch wald, natur, wildheit und leben. dann strich sie über seine kruppe. sacht. sich vorantastend. neuland erobernd.

er ließ es geschehen. schließlich lehnte er sich ihr ein wenig entgegen und schloss die augen. voller vertrauen, voller hingabe.

es war der moment, in dem sich die senkrechten linien der betonriesen um sie herum in hohe baumstämme verwandelten. wo jedes fenster äste trieb, an denen saftiggrüne blätter wuchsen. wo die fußgänger zu farnbündeln am wegesrand wurden, über die sie so gerne mit ihrer offenen handfläche striff im vorübergehen. berührung schenkend und empfangend zugleich. wo autos zu steinbrocken, zu findlingen im wald wurden, die moosüberwuchert ihren platz gefunden hatten und stillstanden. vögel flogen hoch über ihnen zwischen den baumwipfeln hindurch. alles lebte und pulsierte. so wie sie beide aneinander.

mit ihm war ihre natur zu ihr zurückgekehrt. mit ihr die leisen töne zu ihm. sie vergrub ihr gesicht an seinem fell. atmete ihn ein.

dann schwang sie sich auf seinen rücken und ließ sich von ihm weitertragen. sie beugte sich vor und flüsterte in sein ohr: „du“.


japanischer garten

reche
unendliche kreise
in kies

tauche
unter wogen
aus stille

herbstfarben 
fällt fächerahorn
sacht
auf steine

bette gedanken
auf moos
zur ruhe

davor
und
danach

werden jetzt




.2009


mein kartograph

mit trägem finger
malst du spuren
auf erhitzter haut

kartographierst reiserouten
gemeinsamer wege

nacherzählungen
von suchen
finden
und kommen

geschrieben
in unserer tinte

nur kurz verweilst du
spürst nach
dem beben
der täler und gipfel

die wärme meiner erde
trocknet deine einträge
zu geheimer inschrift

bevor sie verblassen
ein neuer aufbruch
zu altbekannten zielen


ich komme dir entgegen




.2009

iron maiden

am bügelbrett quält sich die iron maiden.
das eisen in der hand, es wiegt so schwer.
sie kann das bügeln nun mal gar nicht leiden.

die beste laune kann es ihr verleiden
stapeln sich hemden vor ihr, hoch und quer:
am bügelbrett quält sich die iron maiden.

umsonst versucht das iron sie zu meiden,
schiebt tagelang die pflicht so vor sich her.
sie kann das bügeln nun mal gar nicht leiden!

noch schlimmer ist es, sind die hemden seiden!
das allerdings erschwert die sache sehr.
am bügelbrett quält sich die iron maiden...

zum handeln mag sie sich noch nicht entscheiden.
noch ein tag länger falten? kein malheur!
sie kann das bügeln nun mal gar nicht leiden.

wünscht sich, der liebste würd sich hemdlos kleiden.
sie will nicht hausfrau sein, wär lieber spediteur!
am bügelbrett quält sich die iron maiden.

sie kann das bügeln nun mal gar nicht leiden...



.2009

fossiles

deine worte rieselten in mich
vor jahrmillionen
sandkörnern gleich
verunreinigungen meiner selbst

ich hüllte sie in perlmutt
meiner gedanken
kreisend um die partikel
deiner hinterlassenschaft

wer mich öffnet
heute
findet dich
nicht mehr in mir

auskristallisiert
abgestoßen
konserviert
hab ich deine ideen
von mir

gewandelt
zu einem selbst
die nächsten jahrmillionen
überdauernd



.2010

Seismisches (Love-Wellen)

da sind noch immer
spuren von dir
in den gängen

meines hörens
meines sehens
meines fühlens

gesammeltes regenwasser
in den vertiefungen
deiner fußabdrücke

bereit beim
leisesten
nebelhaftesten
sanftesten

hauch des erinnerns
von dir erschüttert

zu werden



.2010

Metamorphose

ER hatte sich verpuppt.
Im hintersten Winkel seiner Wohnung, an einem schwer zugänglichen Ort.

Eine neugierige Nachbarin hatte den Hausbesorger gerufen, als sich vor seiner Wohnungstür die Zeitungen dreier Wochen stapelten. Und der wiederum hatte wegen des schweren Sicherheitsriegels Feuerwehr und Polizei verständigt. Nachdem die Eingangstür aus den Angeln gehoben worden war, war ihnen zunächst ein Schwall abgestandener Luft entgegengeströmt, der den Geruch von Verwesung zur Erleichterung aller vermissen ließ. Stattdessen hing nun ein Duft im Raum, der schwer einzuordnen war.

Anders als in bewohnten Räumen, wo es - wenn auch in unterschiedlichem Maße - immer nach Körperausdünstungen, Essensgerüchen, schlimmstenfalls verdorbenen Lebensmitteln oder immer häufiger auch Raumdeodorants duftete, fiel hier das Fehlen ebendieser auf. Es roch beinah unerklärlich "sauber", unpersönlich. Dennoch - er musste daheim sein! Sein hingeworfener Schlüsselbund in der Schale auf dem Flurtischchen, seine achtlos abgestreiften Schuhe in der Flurmitte und die an die Wand gelehnte braune Aktenmappe sprachen eine deutliche Sprache.

Als der Hausmeister, eskortiert von zwei Polizeibeamten, der neugierigen Nachbarin und einem Feuerwehrmann, in die Wohnung vordrang, fiel auf, dass der Schall ihrer Geräusche immer leiser wurde. So, als würde er mit jedem Meter, den sie tiefer in die Behausung eindrangen, mehr absorbiert, verschluckt, von der Wohnung aufgenommen. Und nun sahen sie auch die Ursache dafür: Wände, Decken, Möbel, ja selbst Türblätter und Schranktüren waren mit Büchern überzogen. Die Bücher waren allesamt mit deren Buchrücken an den Untergrund geklebt und zwar in einem Abstand und Winkel, dass jedes einzelne Buch aufgefächert an das nächste stieß und so eine Art papierenen Schuppenpanzer bildete.

Es musste eine Heidenarbeit gewesen sein, die gut vierzig Quadratmeter große Wohnküche sowie das Schlafzimmer und das hintere Ende des Flurs derart auszukleiden. Von der Menge an Büchern und Klebstoff ganz zu schweigen. Jedenfalls wirkte diese Oberfläche wie ein perfekter Schallschlucker. Der fehlende Nachhall der von ihnen verursachten Geräusche wirkte eigenartig beklemmend auf die Expedition in Wohnung 6, Ressergasse 57, 2. Etage.

Es war, als würden sich alle ihren nächsten Atemzug und jede Bewegung zweimal überlegen.
Von IHM jedoch fehlte jede Spur. Manche Möbelstücke waren kaum zu erkennen in ihrer Hülle aus Papierfächerschuppen. Der ständige Wechsel von kleinsten Schatten- und Lichtflächen erschwerte das Ausmachen eindeutiger Konturen. Dort drüben schien sich eine Art Wohnwand befunden zu haben, die nun aussah wie eine Nische in einer zu hell und sauber geratenen Höhle. Sofa und Couchtisch waren da schon eindeutiger zu erkennen und bildeten zwei flache Hügel auf dem Boden. Doch was sich in der Nische zwischen der durch ein Barteil vom Wohnbereich abgetrennten offenen Küche und dem Esstisch befand, gab allen ein Rätsel auf.

Ein Sekretär vielleicht, tippte einer der Polizeibeamten. Doch dafür war die Gesamtform zu rundlich und zu schmal, kam man schließlich - flüsternd - überein.

Es war die Nachbarin, die schließlich neugierig nähertrat und mit einem leisen, von den Wänden erstickten Aufschrei auf eine kleine, eingetrockente Pfütze unter dem Objekt deutete. Erst jetzt fiel ihnen auf, dass das Objekt nicht auf dem Boden stand, sondern ebenfalls an der Wand zu haften schien. Angesichts dessen, dass es beinah menschengroß war, fanden sie diesen Umstand höchst erstaunlich. Außerdem war es als einziges nicht von aufgeschlagenen Büchern umhüllt, sondern von einer Masse, die eher an Pappmachee erinnerte. An manchen Stellen waren noch einzelne Wortfragmente erkennbar. Der Großteil der Oberfläche aber war ein verwischtes Weißgraubeige. Für Pappmachee war die Oberfläche aber andererseits nicht fest genug. Wenn man zudem genau hinsah, meinte man ein leichtes Schwingen der Hülle wahrzunehmen. Wie eine sanfte, einzige Welle, die die Form immer und immer wieder an deren Oberfläche überlief.

Einer der Polizisten tippte - vom Mut plötzlich entflammten Forschergeistes getrieben - mit seinem Schlagstock an das Objekt.
Zunächst geschah überhaupt nichts. Doch dann hörten sie es: ein leises Knistern erst, vermischt mit trockenem Rascheln. Dann ein lauteres Knacken und ein Ruck, der das "Ding" ein wenig in Vorlage kippen ließ.

Alle sprangen erschrocken zurück. Der Feuerwehrmann und der Hausbesorger gerieten dabei ins Straucheln und landeten rücklings zwischen tausenden Buchfächern, die dieses mit einer Geräuschlawine raschelnden, knisternden Papiers quittierten. Das laute Ritschratschen und Reißen hunderter, wenn nicht tausender Seiten, an denen sie im Fallen nach Halt suchten, schmerzte in den Ohren und klang dermaßen unirdisch, dass alle von Panik erfasst wurden.

Doch am unirdischsten von all dem war der nicht enden wollende Schrei der Nachbarin angesichts der Kreatur, die nun aus dem Riss in der Hülle drängte, zu Boden glitt und sich dort schlängelte und wand.

Sie schlüssig zu beschreiben, war keiner der im Anschluss daran in die geschlossene Abteilung verbrachten Augenzeugen in der Lage.
Den Protokollen zufolge musste in der Wohnung ein Halluzinogen unbekannter Herkunft und Zusammensetzung freigesetzt worden sein. Dieses musste auch dazu geführt haben, dass einer der Polizeibeamten in geister Verwirrtheit versucht hatte, mit einer entzündeten Kerze - wie er später angab - ein Möbelstück, vermutlich einen "verdächtigen Sekretär", zu inspizieren, der dabei in Brand geraten war.
Das Objekt 6, Ressergasse 57 war infolgedessen komplett ausgebrannt. Brandexperten konnten sich in keinster Weise die Geschwindigkeit erklären, mit der der Brand um sich gegriffen hatte. Der Fall würde für immer ein Rätsel bleiben und fand später sogar Eingang in Fachliteratur zum Bereich unerklärter Brandphänomene.

Unerklärlich blieb den Ärzten der psychiatrischen Abteilung vor Ort auch, weshalb alle fünf Patienten unablässig und fast zwanghaft wiederholten, der Mieter der Wohnung müsse ein echter Lesefanatiker und Bücherwurm gewesen sein. Der wahre Anlass für die Panik und das tiefsitzende Trauma allerdings war ihnen auch unter Einsatz von Regressionshypnose nicht zu entlocken.

Man legte den Fall - als klar wurde, dass man hier nicht weiterkommen würde - schließlich zu den Akten.


.2011

treibgut

von sommers brise
an deine ufer
getrieben
möchte ich stranden
sacht
durch das schilf
gleiten
mit meiner alten
wettergegerbten
hölzernen zille
sanft auf sand laufen
und mit weichen stricken
verankern

an deinem steg



.2008

speisekarte zu dritt

„ich notiere:
eine bluse, hellblau.
eine hose, grau.
ein blazer, dunkelblau mit floralem muster.“ sagt der mann.

„welche unterwäsche haben sie ihrer mutter mitgebracht?
schuhe sind nicht erlaubt, das wissen sie?“ fragt er meine schwester in mechanischem tonfall und blickt dabei nicht von seinem formular hoch.
(wohin auch?)
unterbricht damit unsere eigene mechanik, die bis dahin so gut funktionierte.

„keine unterwäsche“ stottert diese
„ich dachte, die braucht sie ja nun nicht mehr...“.

peinliche schweigeminute.
ertappt lasse ich die tasche mit mutters schuhen verstohlen hinter meinem rücken verschwinden.

herinnen ist es kühl, während draußen spätsommerliche hitze drückt.
die parkanlage draußen ist wunderschön.
mutter wird es hier noch ein paar tage gut aushalten können, teilt uns der mann soeben mit, nachdem er das letzte häkchen gemacht hat.
und gestempelt. mit gerunzelter stirn.
mechanisch.
gesagt hat er etwas anderes.

nämlich: „sie sollten rasch für die beisetzung sorgen. wir können den leichnam nicht länger als drei tage hier lagern.“

lagern.
das hat er gesagt.

im beerdigungsinstitut legt uns die auffallend vergnügte dame einen zerfledderten ordner vor.

wie eine billig gemachte speisekarte im china-restaurant an der ecke:
ausgebleichte fotos, schief eingeklebt,
handbeschriftet, eselsohrig.
alte preise durchgestrichen,
die neuen einfach drübergekritzelt.
durch viel zu viele hände gegangen.

sterben ist wohl nichts exklusives.

einmal holzsarg, süß-sauer.
ohne reis, bitte. kinderportion.

sie war so winzig zuletzt. so fragil. so fremd.

meine schwester und ich treten hinaus in das sonnenlicht des unwirklichen tages.
verloren.

„weißt du, was mama gemacht hätte, wenn sie diesen katalog gesehen hätte?“ fragt sie mich.
wir blicken uns an.
und lachen, bis uns die tränen über die wangen fließen.
lange. zu lange gab es nichts zu lachen.

wenn wir etwas gut konnten zu dritt, dann das: lachen aus vollem herzen.
lachen, bis die rippen 
schmerzen. 







.2008

Hart durchgegriffen

Da liegt es wieder,
dieses leere Blatt.
Wie hab ich diesen Anblick
schon so restlos satt!
Liegt da und grinst
vom Tisch unschuldig weiß mich an.
Erinnert fies und feixend mich,
dass ich nichts schreiben kann.
Leer gähnt der Bogen
mir gelangweilt ins Gesicht.
Als wollt er höhnen:
Komm schon! Schreib doch ein Gedicht...“

Na wart, dich knüll ich klein,
du Stückchen Zellulose!
Ab in den Müll mit dir -
schon hat sie sich, die Chose!“



.2008


distanz

einsam am gipfel
sonnte im goldenen gehäuse
sich die allwissende

umhüllt
im summen
der kleinsten wesenheiten
wanderte in talsohlen
die ahnende

hoch droben
fiel in der dünnen luft
ausgeatmetes
auf kargen fels
wurzelte nicht
und verwehte

der duft der blumen
auf den wiesen darunter
brach zur reise auf
und nahm die ahnung mit sich

und ließ der wandernden

die weisheit



.2008 

annäherung

abstand zu halten
mich langsam
nicht vertrauten
unebenheiten zu nähern
schützt
vor hautabschürfungen
und so manchen
platzwunden
nach dem aufprall

ich sollte es wissen
mittlerweile

doch ich lege
so gerne
meine wange

an raues gestein



.2008

Wann?

Wer sah schon eines Faunes Augen?
Nachtblau sind sie und funkeltief.
Er lag im Morgentau und schlief.
Vermocht ihn derart auszulaugen
das Flötenspiel, welches ihn rief?

Erschöpfte ihn der Nymphen Tanz,
voll Feuersglut in Nächtens Kühle?
Der Taumel lustvoller Gefühle?
Mitternachtswaldes Lichterglanz
der Nachtgestalten Festgewühle?

So stand ich still, war voll der Fragen,
da traf mich plötzlich tief sein Blick.
Ich gab ihn regungslos zurück
und konnt und wollt und mocht nicht wagen
zu stör'n mein unfassbares Glück.

Er sah mich an, bis in die Seele,
erkannte drin mein ganzes Wesen
als könnt er all mein Sehnen lesen.
Als fühlte er, was mir noch fehle,
um von der Trauer zu genesen.

War's seine Hand an meiner Wange?
Ich wagt' es hier nicht zu beschwören.
War's Trug, der mich so konnt' betören?
Das frag ich manchmal mich noch bange.
Doch eines kann ich heut noch hören:


er sprach: „bald wirst du mir gehören.“



.2009

Grund genug

Milchige Sonnenstrahlen drangen wie schmale Klingen langer schlanker Dolche zu ihm auf den Grund durch.
Heute, wo es an der Oberfläche windstill war, tanzten sie nur sachte hin und her und zauberten einen Wald aus dünnen Lichtstämmen ohne Kronen in das dumpfe Blaugrün der Umgebung. Nur für ihn. Von seinem Platz zwischen dem Schilf aus, beobachtete er wie immer im Verborgenen das erregende Schauspiel.

An Tagen mit stärkerem Wind oder wenn viele Badegäste die Oberfläche des Sees aufwirbelten, gaukelten die schlanken Strahlen ihm die Kurven ihres milchigweißen Körpers vor. Als würde sie vor ihm tanzen, ihn necken, meinte er einmal den anmutigen Schwung ihrer Hüften vor sich zu sehen, ein anderes Mal ihre atemberaubende Silhouette im Halbprofil. Eingebrannt in sein visuelles Gedächtnis. Niemals greifbar und stets flüchtig – so, wie sie damals vor ihm geflüchtet war.

In seinen mit der Zeit hier unten milchigtrüb gewordenen Augen spiegelten sich diese schwebenden, sich drehenden Lichtkonturen. Doch niemals auch nur die leisteste Regung von Gefühl oder Erkennen.

Wie hatte sie ihn damals vom ersten Moment an, in dem er ihrer ansichtig wurde, gefesselt, sich all seiner Sinne bemächtigt! Der blasse, helle Teint ihrer zarten, weichen Haut unter dem hauchdünnen Stoff ihres Sommerkleides, ihre unschuldig mädchenhafte Anmut, als sie an jenem lauen Sommerabend allein, sich unbeobachtet fühlend ihr Kleid über den Kopf gezogen hatte und ins Wasser gewatet war.

Die erfrischende Kühle hatte ihr eine Gänsehaut von den Schenkeln über ihre Hüften und das Gesäß bis hin zu ihren perfekten Brüsten geschickt, deren Knospen sofort fest wurden und sich keck aufrichteten. Das Mondlicht hatte damals ähnlich milchiges Licht über sie gegossen, wie es nun die Sonnenstrahlen unter der Wasseroberfläche mit seinem Körper taten, wenn sie über seine vor sich ausgestreckten, sacht in der Strömung hin und herwiegenden Arme glitten. So, wie sie es vermutlich auch mit dem Rest von ihm taten. Doch er hätte den Kopf wenden müssen, um darüber Gewissheit zu erlangen. Das hatte er nicht ein einziges Mal getan, seit er hier war. Er war kein Mensch, der jemals zurückblickte.

Regungslos musste er mit den Anblicken vorlieb nehmen, die sein Blickfeld kreuzten – ganz wie es ihnen gefiel. Oft starrte er tage- und nächtelang in die gleiche leere, undurchdringliche, so beengende Weite vor ihm. Ohne mit einer Wimper zu zucken. Lediglich die Finsternis wechselte von semitransparentem Dunkelblaugrün bis hin zu tiefstem Schwarz.

Wären nicht die großen Flusskiesel in seiner Kleidung gewesen, die ihn am Grund hielten, hätte er sich in solchen Momenten vorgaukeln können, zu schweben.

Doch sie hatte ihn zurück auf den Boden der Realität geholt – und noch ein Stück tiefer.

Wie damals.
Auch da meinte er, zu schweben. Er erinnerte sich nur zu gut an jedes Detail.
Das Geräusch der brechenden Äste, auf der Jagd durch das Gestrüpp, fort vom Teich in den vermeintlich schützenden Wald. Ihre panischen Hilferufe, die in hysterisches Schreien und schließlich flehendes Wimmern übergegangen waren, als er sie letztendlich überwältigt und zu Boden gerungen hatte. Die beinah unbändige Kraft ihres verzweifelten Widerstands, der in diesen so göttlich zarten Gliedern wohnte, mobilisiert einzig vom Überlebenswillen. Ihr heftiges Keuchen und ihr Angstschweiß. Dazu das unregelmäßige Aufblitzen ihrer kreidebleichen. makellosen Haut, wenn auf ihrer beider Verfolgungsjagd durch die Baumkronen das weiße Mondlicht auf sie fiel.

All diese Eindrücke hatten ihn wie eine Woge, die im Begriff stand sich hoch aufzutürmen, um mit all ihrer Gewalt über ihn hereinzubrechen und sie beide in einer gewaltigen Welle an Gefühl mitzureißen, an einen Punkt der Erregung gebracht, der mit absolut nichts vergleichbar schien und ihn die Welt um sich, so wie sie war, vergessen ließ.

Niemals zuvor hatte er in sich eine solche Lebendigkeit verspürt!
Er hatte die Macht, sich zu nehmen, was auch immer er wollte. Sie war nur noch eine Armeslänge von ihm entfernt. Zu Boden gegangen. Vermutlich gestolpert. Das Schicksal hatte sie also für ihn bestimmt!

Sich zu nehmen, was sein war, würde der absolute Höhepunkt seines bisherigen Lebens sein. Er war dicht davor! Und scheinbar hatte sie ihr Schicksal akzeptiert und sich gefügt. Sie leistete keinen weiteren Widerstand mehr. Er war beinah ein wenig enttäuscht. Andererseits ließ ihre Gefügigkeit das Allmachtsgefühl in ihm nur noch mehr anschwellen.

Beinah dankbar war er zwischen ihren Schenkeln auf die Knie gefallen. Er dankte dieser himmlischen Fügung und würde ihr immer dankbar sein. Sie war ein Geschenk Gottes!

Seine Hosen waren bereits auf Halbmast, als der schwere Stein ihn an der Schläfe traf.

Plötzlich war nichts mehr erhebend.
Sein erster und einziger Gedanke, bereits im Hinübergleiten, war, dass sie ihn hinterhältig in eine Falle gelockt haben musste. Er war von ihr zutiefst enttäuscht. Der Fußtritt, mit dem sie ihm sein Nasenbein in sein verworrenes Gehirn schob, ersparte ihm weitere Enttäuschungen und hüllte ihn in friedvolle Stille.

Mittlerweile hatte er sich an diese Stille gewohnt. So ganz ihr Freund war er jedoch nie geworden. Nur wenn sich Kinder beim Baden in die Nähe seines Schilfgürtels verirrten, drangen manchesmal Geräusche bis zu ihm auf den düsteren, schlammigen Boden. Dumpf, wie von weit her, und dennoch viel zu lebendig für sein Gefühl. Dann suchten auch ab und zu verschreckte junge Fische Zuflucht in seinem immer noch fassungslos offenstehenden Mund. Ergriffen Besitz von seinem Körper. Drangen in ihn ein, ohne zu fragen. Respektlos, wie er fand.

So wie sie damals.
Sein Hinterkopf war eine einzige Fundgrube an Ästchen, zerbrochenen Schneckenhäusern und kleinen spitzen Steinen, die sich ins Fleisch gegraben hatten, als sie ihn den ganzen Weg zurück aus dem Wald durch das Dickicht bis ans Seeufer gezerrt hatte. Sie war ein raffiniertes Luder gewesen, das musste er neidlos anerkennen. Die großen Steine in seine Kleidung zu packen, um ihn danach im Schilf zu versenken, ließ ihn vermuten, dass sie nicht zu den allerdümmsten gehörte. Vermutlich hatte sie zu viele Krimis im Fernsehen gesehen. Zu dumm nur, dass er nun hier ungewollt der Hauptdarsteller im falschen Drehbuch war.
Er hatte sie unterschätzt – das würde ihm nie wieder passieren.

Ob sie noch an ihn dachte?

Er wäre gekränkt gewesen, wenn nicht. Er tröstete sich mit dem Gedanken, für immer und ewig der Mann ihrer Träume zu sein.

Milchige Sonnenstrahlen trafen auf milchigtrübe Augen und milchigbleiche Haut. Die Wasser waren heute besonders still. Wie im Jahr zuvor und dem davor stand sie auch heute wieder am Ufer und feierte ihren Geburtstag. Ohne ihn.



.2010