Donnerstag, 2. Februar 2017

Die Asphaltfee und der Keiler

solange die asphaltfee sich erinnern konnte, war alles grau, hartkantig und kalt , wenn sie alleine durch die großstadtschluchten ihres reviers wanderte.

leere fensteraugenhöhlen starrten teilnahmslos und starr in reih und glied auf sie herab. fußgänger, die ihren weg kreuzten, sahen durch sie hindurch, in gedanken versunken, als wäre sie gar nicht da. sie war es gewohnt und fühlte sich in der vertrautheit der anonymität wohl.
meistens zumindest. nur manchmal war da dieses leise sehnen. wie eine erinnerung, die ihr stets entschlüpfte, bevor sie ihrer ganz habhaft werden konnte.

als sie dem keiler begegnete, lag frühlingserwachen in der luft, das sich bis in die tiefen der betonwälder gedrängt hatte. schon den ganzen tag waren ihre sinne bereit für ein erblühen, auch wenn sie noch nicht wusste, was da zu sprießen begonnen hatte.

plötzlich stand er einfach vor ihr. an der kreuzung im morgenlicht einer sonne, die nur an schmalen stellen ihren weg zwischen den schluchten hindurch ins herz der stadt fand. mitten in der verkehrshektik der städtischen betriebsamkeit. sein fell war dicht und borstig, sein geruch so naturnah, dass die menschen in ihren business-outfits furchtsam einen großen bogen um ihn machten, um nur ja nicht mit ihm in berührung zu geraten.

doch er ignorierte sie einfach. stand dort. unverrückbar und grunzte. ungeniert, laut und genüsslich. so fremd war der klang seiner laute hier in der city, dass er sich von all den motorengeräuschen, klappernden absätzen eifriger büro-ladies, fahrradklingeln und straßenbahngebimmel und -gequietsche abhob. wie ein ton, der herausfiel aus dem ganzen, weil er nicht hierhergehörte und dennoch sein ganz eigenes revier damit in anspruch nahm.

sein blick war auf sie gefallen.
sie war abwartend erst einmal still stehengeblieben. war einerseits auf der hut, andererseits wollte sie dieses stolze tier nicht verschrecken oder gar gegen sie aufbringen. ihr instinkt sagte ihr, dass es sich ebenso ein klein wenig fremd in seinem eigenen revier hier fühlte wie sie auch manchesmal. so, wie sie sich hinter der fassade der ruhigen, unnahbaren versteckte, ahnte sie, dass seine fassade des lauten, wilden tieres etwas verbarg, das sich nach sanftheit sehnte. nach berührt-werden und stillhalten-dürfen, ganz ohne gefahr.

sie streckte sachte die hand nach ihm aus. zwischen ihnen lagen noch gut vier, fünf meter. dennoch knisterte das fell des keilers leise und einige der borsten richteten sich auf, als würden sie elektrisch angezogen von ihren fingern. auch sie konnte ein zartes kribbeln in ihren fingerspitzen wahrnehmen.

gebannt von der gegenseitigen anziehung, bewegten sie sich aufeinander zu. langsam, dennoch stetig und von einer neugier getrieben, die mehr war als bloßer wissensdurst.

er reichte ihr bis an die taille. seine hauer waren stattlich, wie seine ganze erscheinung und standen in starkem kontrast zu ihrer zartheit. doch in seinen augen lagen ein erkennen und eine einladung. sanft glänzten sie ihr entgegen, während sie einen fuß vor den anderen setzte.

er war mitten auf der kreuzung und den darauf verlaufenden straßenbahnschienen stehen geblieben, doch anstatt – wie sonst auch – wütend zu bimmeln, hielt der wagenführer den zug einfach an. auch die anderen fahrzeuge und passanten waren zum stillstand gekommen. erstarrt, als hätte eine unsichtbare hand den film angehalten. nur noch sie und der keiler. keine geräusche drangen zu ihnen durch. nicht die kleinste regung.

der keiler grunzte noch einmal leise und schüttelte seinen massigen kopf, als sie ganz langsam vor ihm in die hocke ging. ihr herz schlug bis zum hals. doch das sehnen war erwacht und einfach stärker als jede furcht. sie musste ihn berühren!

vorsichtig legte sie ihre hand an seinen nacken. ihre finger berührten weiche, warme, starke, geschmeidige borsten. ihre augen registrierten sein zartes, angespanntes zittern, das unter dem fell entlanglief. ihre nase roch wald, natur, wildheit und leben. dann strich sie über seine kruppe. sacht. sich vorantastend. neuland erobernd.

er ließ es geschehen. schließlich lehnte er sich ihr ein wenig entgegen und schloss die augen. voller vertrauen, voller hingabe.

es war der moment, in dem sich die senkrechten linien der betonriesen um sie herum in hohe baumstämme verwandelten. wo jedes fenster äste trieb, an denen saftiggrüne blätter wuchsen. wo die fußgänger zu farnbündeln am wegesrand wurden, über die sie so gerne mit ihrer offenen handfläche striff im vorübergehen. berührung schenkend und empfangend zugleich. wo autos zu steinbrocken, zu findlingen im wald wurden, die moosüberwuchert ihren platz gefunden hatten und stillstanden. vögel flogen hoch über ihnen zwischen den baumwipfeln hindurch. alles lebte und pulsierte. so wie sie beide aneinander.

mit ihm war ihre natur zu ihr zurückgekehrt. mit ihr die leisen töne zu ihm. sie vergrub ihr gesicht an seinem fell. atmete ihn ein.

dann schwang sie sich auf seinen rücken und ließ sich von ihm weitertragen. sie beugte sich vor und flüsterte in sein ohr: „du“.