Donnerstag, 2. Februar 2017

speisekarte zu dritt

„ich notiere:
eine bluse, hellblau.
eine hose, grau.
ein blazer, dunkelblau mit floralem muster.“ sagt der mann.

„welche unterwäsche haben sie ihrer mutter mitgebracht?
schuhe sind nicht erlaubt, das wissen sie?“ fragt er meine schwester in mechanischem tonfall und blickt dabei nicht von seinem formular hoch.
(wohin auch?)
unterbricht damit unsere eigene mechanik, die bis dahin so gut funktionierte.

„keine unterwäsche“ stottert diese
„ich dachte, die braucht sie ja nun nicht mehr...“.

peinliche schweigeminute.
ertappt lasse ich die tasche mit mutters schuhen verstohlen hinter meinem rücken verschwinden.

herinnen ist es kühl, während draußen spätsommerliche hitze drückt.
die parkanlage draußen ist wunderschön.
mutter wird es hier noch ein paar tage gut aushalten können, teilt uns der mann soeben mit, nachdem er das letzte häkchen gemacht hat.
und gestempelt. mit gerunzelter stirn.
mechanisch.
gesagt hat er etwas anderes.

nämlich: „sie sollten rasch für die beisetzung sorgen. wir können den leichnam nicht länger als drei tage hier lagern.“

lagern.
das hat er gesagt.

im beerdigungsinstitut legt uns die auffallend vergnügte dame einen zerfledderten ordner vor.

wie eine billig gemachte speisekarte im china-restaurant an der ecke:
ausgebleichte fotos, schief eingeklebt,
handbeschriftet, eselsohrig.
alte preise durchgestrichen,
die neuen einfach drübergekritzelt.
durch viel zu viele hände gegangen.

sterben ist wohl nichts exklusives.

einmal holzsarg, süß-sauer.
ohne reis, bitte. kinderportion.

sie war so winzig zuletzt. so fragil. so fremd.

meine schwester und ich treten hinaus in das sonnenlicht des unwirklichen tages.
verloren.

„weißt du, was mama gemacht hätte, wenn sie diesen katalog gesehen hätte?“ fragt sie mich.
wir blicken uns an.
und lachen, bis uns die tränen über die wangen fließen.
lange. zu lange gab es nichts zu lachen.

wenn wir etwas gut konnten zu dritt, dann das: lachen aus vollem herzen.
lachen, bis die rippen 
schmerzen. 







.2008