Donnerstag, 16. November 2017

Alles gut

Über den Dächern mit Antennenwäldern
da ziehen Krähen; krächzen laut im Chor.
Sie sammeln sich auf Äckern, Wiesen, Feldern.
Mir kommt's wie ein Familientreffen vor.

Sie knarzen, kollern, kecksen, hüpfen, springen.
Sie spieln mit meinem Hund und foppen ihn.
Dann breiten sie gemeinsam ihre Schwingen
und fliegen fort; zu ihrer Schlafstatt hin.

Ich lausch, den Kopf im Nacken, und ich staune;
der Strom dicht über mir, scheints, endet nie.
Ein langes Band, gleich schwarzem Spitzensaume,
durchzieht den Himmel der Peripherie.

Fast mein ich, ich verlöre selbst den Boden
unter den Füßen; wäre Teil des Zugs.
Als würd ich eingewoben, mitgezogen -
ganz fest im Banne des Gesangs und Flugs.

Mir breitet sich im Herzen tiefe Wärme,
und Nebelzuckerwatte malt die Welt
in Silhouetten; hab dem Schwarm der Schwärme
mich gerne für ein Stück dazugesellt.





.nov2017

Sonntag, 5. November 2017

Kleine Ode an den Herbst

Krümmt Trockenheit schon graue Borke
und knistert Laub rotbraun im Wald,
ruhn längst im Schuppen Saat und Forke,
ist Sommers Klang weit schon verhallt,

und knarren kahle, weiße Birken
gemächlich überm Blättermeer,
hat Herbst mit leisem Zauberwirken
den Wald ganz ohne Gegenwehr

in seinen sanften Bann gezogen,
zur Ruh alle Natur gebracht.
Ganz unbemerkt kam er geflogen
auf weichen Schwingen über Nacht.

Vergänglichkeit, nie bist du schöner
als so in all der Farbenpracht!
Nie bist du sanfter als in jener
so goldnen Zeit voll Abschiedsmacht!

Nie fühl ich Wehmut reiner, süßer,
als just zu dieser Jahreszeit.
Ich lieb dich, Herbst, du Wintergrüßer!
Du machst mir Herz und Seele weit.








.Oktober_2017

Mittwoch, 11. Oktober 2017

Metamorphosis

Herbstlaub, mählich mürb gemacht,
setzt, zersetzt sich, wird zu Erde,
dass im Frühjahr Neues werde,
aufersteh in aller Pracht!

Letzter Farbrausch, ein Sich-Bäumen,
Einmal-noch-vom-Sommer-Träumen,
hat ein warmes Glühn entfacht,
welches leise und ganz sacht

Wurzeln schlägt in unsern Seelen,
Glut wird, nährend, während Schwere
ersten Eishauchs letzte Ähre
bricht, um sie uns fortzustehlen.

Für ein Weilchen bloß! Im Stillen
muss das Wunder sich erfüllen
ewgen Kreislaufs, Jahr für Jahr.
Wandlung heißt, dass Nichts bloß "war".





.Oktober 2012

Das verwunschene Haus

(einem heiteren Dicht-Wettstreit entsprungen)


Schon immer, scheints, stand an des Waldes Saume,
umhüllt von Brombeerranken, ein Gemäuer,
als wäre es entstiegen finsterm Traume.

Noch keinem Wandersmann wars dort geheuer,
der hoffnungsvoll drin Schutz und Raststatt suchte,
sich aufzuwärmen an des Herdes Feuer.

Warn auch die Wandrer noch so wildverruchte -
schlugs zwölfe erst vom Kirchhof her im Turme,
da regte sich das Haus, das langverfluchte:

es schlugen Fensterläden wild im Sturme,
die Dielen ächzten unter schweren Tritten!
Der Mutigste sogar ward drob zum Wurme,

ist schreiend hoch zu Ross rasch fortgeritten,
davongestolpert, war er bloß zu Fuße;
hat um ein Haar den Schreckenstod erlitten,

im Ohr gehauchten Klang vom Geistergruße.
Vergessen wurd gesucht auf Bierkrugs Grunde,
nicht wenige auch taten betend Buße.
Doch alle warn ergraut seit jener Stunde.





.März 2012
(Terzine)

zu spät gestellte frage

lieber herr gernhardt,
ich will es nun wagen
und möchte sie fragen,
ob in all ihren tagen,
auch dann, wenn glück fern ward,
man das leben noch gern hat.

ich weiß, das klingt dumm!
nehmen sie´s mir nicht krumm -
ich bitt sie darum!

doch in ihren gedichten
und auch den geschichten
verträgt sich schlechtes mit gutem
und das lässt mich vermuten,

dass das leben für sie
immer war, was es ist;
nie ganz immer, niemals nie,
doch stets glück neben leid, 


und voll sinn und beschiss.





.Juli 2008



unsichtbar

heut war wieder einer jener tage
an denen ich unsichtbar
durch die stadt gehen konnte
inmitten der dichten menschenströme
schlenderte ich neben der zeit
die auslagenscheiben entlang
hangelte meine gedanken
mechanisch mit meinen blicken
von auslegeware zu hausmauer
zu auslegeware zu
hausmauer zu versunken
in mich
unberührbar für die außenwelt
im grau in grau des asphalts
lineare muster
denen ich folgte
bis zu dem punkt
an dem du mich angerempelt hast
und ich erkennen musste
dass ich einsam bin

unter vielen





.2008

auf der baumgartner höhe, pavillon annenheim



bitte, mama,
erzähl mir von deiner angst!
ich weiß, sie erfüllt das kahle zimmer,
sobald die besuchszeit zu ende ist
und die flügeltür hinter mir zufällt.

du sprichst nie.
wenn, dann über die schlagzeilen der illustrierten von vor drei monaten,
die hier herumliegen,
oder deine zimmergenossinnen.

nie fragst du.
nicht um trost.
nicht um hilfe.
nicht danach, was mit dir geschehen wird.
dann, wenn der krebs beginnt, dich vollends zu verzehren.
hüllst dich in palliatives totschweigen.
so wie dein ganzes leben schon.

meine angst
nehme ich jeden tag, an dem ich kommen kann, mit.
lasse sie gut angeleint vor deinem zimmer warten,
um sie beim nachhauseweg dort wieder abzuholen.
sie übernachtet bei mir.
jede nacht
seit du nur noch darauf wartest, dass „es“ vorbei geht.

du wolltest nie, dass wir,
deine töchter, dich so sehen.
nun kannst du nicht einmal
meine helfenden hände an dir ertragen,
meine gutgemeinten worte hören, die dich so quälen,
meine haltsuchenden blicke erwidern.
ich verspreche, ich werde nicht hinsehen!
ich verspreche, ich werde dieses bild von dir vergessen!
mein erstes wichtiges versprechen,
das ich nicht werde halten können.

doch du schweigst.
lange, bevor du die sprache verlierst.
bevor du hinter nebelwänden aus schmerzlosigkeit verschwindest.
sie verschlucken dich eines tages.
dann bist du nicht mehr da.
obwohl wir dich noch deutlich sehen können.
nur zu deutlich.

die angst
mag nun nicht länger draußen warten.
weit offen
steht die flügeltür.
vogelgezwitscher im park.

schließlich bist du verstummt.
anders als das vertraute schweigen,
das dich durch dein ganzes leben begleitet hat.
lässt uns zurück,
ohne dich jemals ganz erfahren zu haben.
dein blick ist so fern.
nun kann ich sie nicht einmal mehr
in deinen augen lesen,
deine angst .

ich hätte sie auf meinen schultern
mit zu mir nach hause getragen,
damit sie dir nicht länger zur last fällt.
jede nacht
und jeden tag.
sie hätte zu meiner angst gesprochen
wie eine alte bekannte.
vom mut der verzweiflung.
von den schönen dingen, die waren.
von der hässlichkeit.
von der natur der vergänglichkeit.
von ihrem eigenen wesen.
und ich hätte zugehört.

so
wie ich dir immer zuhören wollte.

stille.
endgültig und unerträglich wie am ersten tag.

meine schultern tun so weh.






.2008 (2005)


familienfotos

heut hab ich staub 
von deinem gesicht 
gewischt
und deinen wärmenden blick 
wiedergefunden

doch deine lippen
verschließen sich noch immer
wie in all den jahren
meines kindseins
jedem liebenden wort

dort
lasse ich den staub einfach 
liegen





.Juni 2008





annäherung

abstand zu halten
mich langsam
nicht vertrauten
unebenheiten zu nähern
schützt
vor hautabschürfungen
und so manchen
platzwunden
nach dem aufprall

ich sollte es wissen
mittlerweile

doch ich lege
so gerne
meine wange

an raues gestein







.Oktober 2008

ohne titel

der grund, weshalb ich ingeborg
nur ungern manche dinge borg
ist ähnlich dem, warum der gerd
auch nicht mit meinem wagen fährt.




.April 2016

vom brechen

auf bricht nach langem frost die kruste.
an bricht nun frühling und was ruhen musste
unter dem bruch des laubs vom letzten jahre,
bricht auf mit ihm, bricht aus der winterstarre.





.März 2010

Mittwoch, 4. Oktober 2017

Kleine Ode an den Herbst

Krümmt Trockenheit schon graue Borke
und knistert Laub rotbraun im Wald,
ruhn längst im Schuppen Saat und Forke,
ist Sommers Klang weithin verhallt,

und knarren laublos weiße Birken
gemächlich über rotem Meer,
hat Herbst mit leisem Zauberwirken
den Wald ganz ohne Gegenwehr

in seinen sanften Bann gezogen,
zur Ruh alle Natur gebracht.
Ganz unbemerkt kam er geflogen
auf weichen Schwingen über Nacht.

Vergänglichkeit, nie bist du schöner
als so in all der Farbenpracht!
Nie bist du sanfter als in jener
so goldnen Zeit voll Abschiedsmacht!

Nie fühl ich Wehmut reiner, süßer,
als just zu dieser Jahreszeit.
Ich lieb dich, Herbst, mein Wintergrüßer!
Du machst mir Herz und Seele weit.




.Oktober 2017

Donnerstag, 24. August 2017

kriegsspuren

kann sie nicht weglächeln
die leere in mir
konnte es noch nie
das weiß ich jetzt

doch zorn beherrsche ich nicht
als regung
ungreifbar bleibt er mir
und gut getarnt

fremd bin ich mir selbst
und unerforscht
und was ich für bewegung hielt
war doch nur flucht

vor dem schweigen
dem nicht-wissen
dem nicht-können-dürfen-wollen
dem stillstand

den ich schon immer so hasste
damals als kind
daheim
da fühlte ich noch

vier wände wie ein sarg
darin die lebenden
versteinert
verstummt

gefangen in leeren ritualen
im eigenen schweigen
aus lauter angst
vor dem fühlen

blind sollte ich sein
stumm sollte ich sein
lieb sollte ich sein
leicht zu ertragen

all das leiden
im gesicht meiner mutter
schuld
allgegenwärtig

warum dachte ich nur
es wäre die meine?





.august_2017

Dienstag, 4. Juli 2017

Familienerbe

Die Scherben
fein säuberlich aufgekehrt
nur winzigste Splitter
in den Fugen der Dielen
(wo der Bartwisch nicht hinkommt)

eingetreten
beim arglosen barfuß Darüberlaufen
nahezu unsichtbar
in meinen Sohlen
und ungreifbar

stecken sie
um beim Auftreten
in bestimmten Winkeln
ohne Vorwarnung
zu stechen

Ich kann hier nicht länger
stehenbleiben
nur um
nicht mehr zu fühlen





.Juli_2017

Anm: "Bartwisch" - wienerisch für "Kehrbesen"

Dienstag, 20. Juni 2017

Dämmerschoppen

Sommer; auf Libellen reiten,
lauer Abend unter Bäumen,
kühle Luft an Wiesensäumen,
wo die Schatten sacht sich breiten.

Und ein Achtel folgt dem andern,
deine Zehn im kühlen Rasen
rupfen Halme, spürn beim Grasen
leis ein Kitzeln, wo sie wandern.

Schön ist dieser Abendfrieden!
Schweigend sitzt man in der Runde
und genießt zu später Stunde
Pausenzeit vom heißen Sieden.

Längst schon ging die Sonne unter
und des Tages Last verloren.
Trägheit strömt durch alle Poren.
Morgen bist du wieder munter!




.juni_2017

Samstag, 29. April 2017

Für Georg

Als Mutter zu bestehen ist kein Leichtes!
Dies weiß ich wohl und dass mir nicht gelingt,
stets schweigend zuzusehn, damit Erreichtes
auch Selbst-Erlebtes wird und dich beschwingt
als Sicherheit in deinem Tun und Streben.
Das ist, was ich mir fest für dich ersehne!
Doch fällt mir schwer, dich vollends freizugeben,
wo ich dich noch in Kinderschuhen wähne.

Mir scheint's, als wurdest gestern du geboren;
als liefst die ersten Schritte du vor Stunden.
Inzwischen ist, was kindlich war, verloren;
nur Ahnung mehr. Und dennoch tief verbunden
sind du und ich, auch wenn sich still und leise
schon Sprache ändert, Tonfall und Berührung.
Ich will dir Hafen sein nach jeder Reise
und lass auch immer öfter dir die Führung.

Doch treibt mich wieder mütterliches Bangen
und überfällt zu schützen mich der Drang,
versteh; ich habe grad erst angefangen
dich loszulassen; werd' mein Leben lang
mir wünschen, dass gelänge, dich zu hüten
vor Kummer, Leiden, Misserfolg und Gram.
Mit Nachsicht mögest du mir dies vergüten
und auch mit einem Rüffel dann und wann.

Es ist nicht so, dass ich nicht an dich glaube.
Im Gegenteil - du bist mein ganzer Stolz!
Und wenn ich dir die Luft zum Atmen raube,
verzeih; ich bin geschnitzt aus Mutterholz.




.April 2017

Freitag, 21. April 2017

Für Franz

Der Schwedenbombenkuss um fünf am Morgen
im Partykeller war mein Liebesschwur.
Mein Herz, so sagte ich, würd ich dir borgen
im Tausch für deins. Du blicktest auf die Uhr

und meintest, dass du leider in zwei Stunden
nachhause fahren müsstest mit der Bahn.
Viel lieber würdest du noch mehr erkunden
von dem, was ich mit Schwedenbomben kann.

Die Tram in Richtung Bahnhof war auch meine.
Wir saßen glücklich, ganz von uns berauscht,
gebrauchten keine Worte, fanden keine.
Fast hätten wir die Nummern nicht getauscht.

Als du dann anriefst nach dem Wochenende,
war ich auch nicht ein Fünkchen überrascht.
Ich wusste, wen ich bombenküssend fände,
der weiß - wie ich - wovon man gerne nascht.

Wir hatten ein paar wundervolle Jahre,
wir liebten, lebten, lachten gern und viel.
Dann teilten wir das Schicksal vieler Paare -
es änderten sich Gangart und auch Ziel.

Ich denk heut oft, wir hättens hinbekommen,
wärn wir ein wenig reifer nur gewesen.
Ich weiß, ich war zum Schluss recht unbesonnen.
Erst letztens hab ich wo von dir gelesen,

dass du Theater spielst und unterrichtest,
dass du auch eine Frau (und Kinder?) hast.
Wie schön! Und wenn du Schwedenbomben sichtest,
dann hoff ich, dass für dich jetzt alles passt.




.April 2017

Samstag, 1. April 2017

Morgens an der Alten Donau

Die Krähen ziehen von der Donauinsel
auf ihrem Weg hoch über meinem Kopf.
Es malt Natur mit blau-grau-grünem Pinsel,
tunkt Farben heute aus dem Nebeltopf.

Beinahe kann ich schon die Sonne ahnen;
mir prickelt ihre Wärme im Gesicht.
Ins Wasser pflügen Schwäne ihre Bahnen;
noch ziert das Schneeweiß ihr Gefieder nicht.

Es zeigt das Schilf die ersten grünen Triebe
(im Sommer weht kein Wind an diesem Eck)
und dann - oh, wie ich diesen Anblick liebe! -
stelln Haubentaucher ihre Mützen keck

wie Segel (kleine!) in das sanfte Wehen.
Die ersten Algen werden auch verschenkt!
Ich muss - allein, ich möchte noch nicht gehen,
weil dieser Ort mich grad mit Glück bedenkt.

Wär's möglich, blieb ich hier für immer sitzen
und Wurzeln würd ich schlagen, tief und fest,
mein Zeichen in die bleichen Planken schnitzen,
damit der Zauber nicht mein Herz verlässt.





.märz_2017

Donnerstag, 23. März 2017

großmutter


hand in hand
huflattichbehütet
durch wälder streifen
steinobelisken erforschen
den feuersalamander zähmen
moosbewachsne treppen erklimmen
teufelskrallen und trollblumen grüßen
den duft von narzissenfeldern trinken
heimrudern auf tiefschwarzem wasser
mich sicher fühlen mit dir
im turm über dem see
gewittern trotzen
und blitze zählen
hand in hand





.märz_2017

Montag, 6. März 2017

Abends auf der Alten Donau

Am Kahlenberg kratzt schon das Abendrot
und über Dächer, Äcker, enge Gassen
ziehen die Krähen, Wolken gleich, in Massen
zu ihren Plätzen, wo sie schlafen. Und mein Boot
schaukelt ganz sacht auf roten, sanften Wogen.
Ich schaue hoch und wäre gerne mitgezogen.





.märz_2017

Montag, 27. Februar 2017

niemals jemals

selten hat mich jemand
so wie du
berührt

niemals jemand
so wie du
verführt

nie zuvor mich jemand
so wie du
gesehen

werd ich jemals
dieses glück
verstehen?




.jan_2013

Mittwoch, 22. Februar 2017

Fog






.text und bilder: nov_2015

Donnerstag, 2. Februar 2017

Winterwald-Villanelle

Im Winterwald ist heute Feen-und Elfenball,
geladen sind die wundersamsten Gäste!
Es tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl.

Da freun sich Faune auf die Damenwahl
beim feierlichsten aller Jahreszeitenfeste.
Im Winterwald ist heute Feen- und Elfenball!

Weich fallen Nymphenkleider, lang und schmal,
der Zwerg von Welt trägt seine beste Weste!
Es tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl.

Kalt prickelt Schaumwein im Kristallpokal
und am Buffet speist man stets nur das Beste.
Im Winterwald ist heute Feen- und Elfenball!

Sieh nur, welch Reigen unter Mondes Strahl,
Schneeglanz im feinsten aller Tanzpaläste!
Es tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl!

Vergleichbar Schönes gibt’s nicht nocheinmal!
Es zeugen tags darauf davon nicht einmal Reste.
Im Winterwald ist heute Feen- und Elfenball.
Es tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl!




.2009


zwischenraum

aufrecht steh ich
unter bäumen
nicht verwurzelt
zwischen räumen

keine lücke
da für mich?

stehe still
zu meinen füßen
fühle leben
ringsum sprießen

spür mir nach
hier innerlich

morgentau
auf meiner haut
rindengleich
rau und ergraut

wald und alt sein
möchte ich

wachsen
blühen
summen
fließen
ganz meine natur
genießen

so im dickicht
find ich mich







.2008

walderzählung

raue rinde

flüster in mein ohr
aus deinen tausend mündern
vom winterwind
der an dir zerrte

von freund specht
der in dir hauste
vom flechtenkleid
das dich im norden wärmte

und vom knarrenden
chorgesang der jahre
imitten deiner brüder hier

ich lege meine wange
an deinen stamm
fühle abschied

mit deinem letzten laut
wirst du den wald zerspalten
zur ruhe kommen

auf totem laub




.2009

Mal eben rasch

Ich schreib mal eben rasch ne Villanelle,
weil 's mich entspannt und gute Laune bringt
so ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.

Vergrätz damit so manche Dichterseele,
sag ich - was zum Poetenhimmel stinkt - :
"ich schreib mal eben rasch ne Villanelle."

Verleih der Dichterwürde eine Delle,
weil sie husch-pfusch die Vorgehnsweise dünkt,
so ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.

Drum geh in Deckung ich nun auf der Stelle
und ruf von dort, sobald mir dies gelingt:
"ich schreib mal eben rasch ne Villanelle!"

Im allerseltensten Fall aller Fälle
man lockerlässig diese Form bezwingt
so ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.

Doch ich schwimm auf des Größenwahnes Welle,
was wohl den Dichterleichtsinn hier bedingt.
Ich schreib mal eben rasch ne Villanelle

so ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.



.2009

spax (selbstschneidend, mit kreuz)

ihr magen drehte sich in die eine richtung, während die welt immer rascher in der anderen um sie kreiste – eine kombination, die das würgen, das sie bereits seit tagen in sich verspürte, noch verstärkte.

atme, verdammt! atme!“ mahnte sie sich innerlich schroff und fast verzweifelt zur ruhe. versuchte die panik niederzukämpfen, die gefährlich nah an die oberkante ihrer fassung schwappte.

da war nichts mehr, was trug. kein boden unter ihren füßen und kein halt, der ihr ermöglicht hätte ihr schwanken, hervorgerufen vom schwindelgefühl der ohnmacht, zu stoppen und sie zu stabilisieren.

sie hätte sich am liebsten ganz klein in sich zusammengezogen. wäre gern in ihr selbst verschwunden. innen drin fühlte es sich auch an, als hätten ihre eingeweide genau das zu tun begonnen. eine art von implodieren, ein sich-auflösen, das zumindest den vorteil gehabt hätte, den druck nicht mehr ertragen zu müssen, der nun schon so lange auf ihr lastete, ihr die luft nahm und jegliche orientierung.

das war alles, was sie noch fühlen konnte. es hatte den platz eingenommen, an den jene empfindungen hingehört hätten, die mit ihren eigenen bedürfnissen zu tun hatten.
bedürfnisse“ - sie betrachtete dieses wort gebannt und in sich gekehrt, als wäre es ihr völlig fremd.

so, wie worte, wenn man sie ganz oft hintereinander ausspricht, plötzlich ihren sinn verlieren und zu einem klang werden, der losgelöst ist von jeglicher bedeutung. sie machte das manchmal. eins der lieblingsworte, die sie sich in regelmäßigen abständen derart entfremdete, war „woche“.

woche woche woche woche woch e wo che wo chewo ch ewoche wochewo chewo ch e wo...chhhhh“

was war das? woche. es begann für die „anderen“ meist montags und endete freitag abends. da gab es dann so etwas wie ein wochenende. was ja wieder den anfang von einer neuen woche andeutete. den anfang von irgendetwas. wenigstens etwas, das anfing.

in ihrem leben gab es schon so lange keinen anfang. auch irgendwie kein ende. sie hätte auch nicht gewusst, wovon. ein ende vom enden des anfangs, der doch nie begann? ein anfang nach einem ende von etwas, an das sie keine erinnerung mehr hatte, weil dafür kein platz mehr in ihrem jetzigen leben war? wie fühlte es sich an zu enden? hätte es etwas erlösendes? was würde enden? das nichts, das sie lebte, konnte doch gar nicht enden. dazu hätte ja etwas vorhanden sein müssen, das einen anfang und ein ende besaß.

da war sie wieder, diese schleife in ihrem kopf. endlos, ausweglos, spiralkurven in die tiefe drehend und sie sogartig nach unten ziehend.
atme! hör nicht auf damit!“ zischte sie sich zwischen zusammengebissenen zähnen zu. der atem beruhigte sie. er verließ ihren körper in einer geraden bewegung und strömte ebenso gerade auf sie zu und in sie ein. erfüllte ihr nichts mit luft und ließ eine ahnung an das gefühl von kontrolle aufkommen. auch etwas, an das sie sich nur verschwommen erinnerte.

kontrolle“. etwas, das nur von außen auf sie einwirkte. stets. immer. ununterbrochen.

irgendwann war ihre alleinige lebensaufgabe geworden, zu funktionieren. einer kontrolle standzuhalten. ergebnisse zu liefern, die nicht als ausschuss auffielen und deshalb ausgemustert gehörten. „muster“. an ihnen konnte man sich festhalten. da war das muster für „tag“ - aufstehen, atmen, arbeiten, essen, atmen, schlafen.

ein muster für „liebe“ - aufmerksamkeit schenken, wünsche von den augen ablesen, immer für ihn da sein, wenn er da war, zärtlichkeit geben, nicht zur last fallen.

und eines für „glück“ - ein dach überm kopf, nicht allein sein, ein gewisses maß an gesundheit sein eigen nennen und nicht hungern müssen.

es ging ihr doch bestens! sie hatte ja stets volle tage, liebe und glück. warum also immer diese angst und diese leere? warum dieses empfinden, sie müsste sich doch eigentlich lebendiger fühlen und konnte es nur aufgrund irgendeines defektes ihrer persönlichkeit nicht?

bedürfnisse bedürfnisse bedürfnissebe dürfni ssebed ürfnis sebe dür fnisse bed ürf nisse bedürftige nisse nie dürfen nissen wie du bedürftig sein. nie! du nisse!“
die stimme in ihrem kopf klang vertraut, als sie so zu ihr sprach.
das kreisen hatte sich nun eine achse tiefer verlagert.

sie hatte begonnen sich langsam in den asphalt zu bohren. „selbstschneidendes gewinde!“ schoss es ihr durch den kopf. gleich würde sie spurlos vom erdboden getilgt sein. der gedanke hatte etwas erlösendes. etwas, das nie einen anfang gehabt hatte, hätte nun wenigstens sein ende gefunden.

seltsam ruhig und erstmals ganz ohne angst sagte sie mit fester stimme „spax!“. dann schloss sich der boden über ihr. spurlos und ohne das geringste geräusch.

als sie am nächsten tag und auch am übernächsten und dem tag danach und dem danach nicht zur arbeit auf der pflegestation erschien, begann man sie zu vermissen. es war einfach zuviel arbeit liegengeblieben, als dass man es noch länger hätte übersehen können.




.2009 

basislager

wieder war sie allein bis um die nächste biegung gegangen, von wo aus man den gipfel sehen konnte und hatte ihn beim zelt zurückgelassen.
er war – wie so oft – damit beschäftigt, die heringe tiefer zurück ins karge erdreich zu schlagen, die sich im verlauf der zeit stückchenweise wieder herausbewegten. teils, weil der wind an den zeltschnüren zerrte, teils, weil sie beide beim betreten und verlassen des zeltes an ihnen zogen und die konstruktion so wieder lockerten.

wie lange würden sie noch hier im basislager bleiben müssen? sie fühlte den rauen bergwind an ihrer haut. wie er versuchte, an ihr zu greifen, um sie stückchenweise abzutragen. so, wie er es mit dem berg selbst tat. sie schloss die augen für einen moment um nur zu fühlen, zog dann die jacke fester um sich und stellte den kragen auf. blinzelnd fixierte sie den gipfel. dort wollte sie hin. mit ihm. sie erinnerte sich nicht mehr genau, wann sie dieses ziel festgelegt hatten und warum die wahl auf genau diesen gipfel gefallen war. es war wohl eine ihrer typischen bauchgefühlsentscheidungen gewesen.

und wie immer hatte er vermutlich nicht viel dazu beigetragen, außer an den entscheidenden stellen zu schweigen. dort, wo sie ihm ihre sehnsucht mitgeteilt hatte. sie liebte es, ihm von ihren sehnsüchten zu erzählen und hielt sie bei ihm für in guten händen. er schwieg dann immer und unterbrach nur selten. sie hatte ihn für sein aufmerksames und verständiges schweigen immer geachtet.
er war so anders als sie. sie ergänzten einander in so vielen dingen, wo sie einander gut taten. doch seit sie zu dieser expedition aufgebrochen waren, war sie sich vieler dinge nicht mehr so sicher.

der wind war hier oben ein ständiger gefährte. er umraunte und bewisperte tag und nacht ihr lager, spielte seine melodie auf den saiten der zeltschnüre und trug ihnen herrlich verlockende gipfelluft zu. sie konnte sich eine stille ohne ihn gar nicht mehr vorstellen.

stille. sie redeten nicht mehr viel miteinander in den letzten tagen. wieviel zeit hatten sie hier auf dem ersten plateau bereits zugebracht? eine kleine ewigkeit, wie ihr schien. doch er meinte, sie könnten erst weiter, wenn das lager hier in einem solchen zustand wäre, dass es durch nichts gefährdet sein konnte. er hatte seine überlegungen wie immer gründlich dargelegt und sie hatte nichts dagegen einzuwenden gewusst.

jeden tag hatte sie ihn zu überreden versucht, mit ihr um diese biegung zu gehen und gemeinsam den gipfel zu betrachten. ihr gemeinsames ziel. doch es hatte immer einen grund für ihn gegeben, im lager zu bleiben. also war sie jeden tag allein gegangen.
in der zwischenzeit hatte er sich darum gekümmert, alles sauber zu halten. frischen tee zu machen und den proviant täglich neu zu kontrollieren. anfangs hatten sie noch gemeinsam über dem campingkocher ihr essen zubereitet und es aufregend romantisch gefunden. doch irgendwann hatte sie gelangweilt vom ewiggleichen aufgehört dabei zu helfen und war lieber zur biegung gewandert, um den gipfel zu sehen. er hatte also auch das von da an alleine erledigt. ebenso wie die immer wieder neu zu erstellenden kalkulationen der essensrationierung für die weitere wegstrecke.

die gründlichkeit mit der er diese dinge erledigte, gab ihm dabei etwas für sie so „ausschließliches“. stets, wenn sie von ihrem täglichen gang zur biegung zurückkam, war er in eine dieser tätigkeiten versunken gewesen und hatte sie kaum wahrgenommen. da er alles viel sorgfältiger und gewissenhafter erledigte als sie es je vermochte, waren allmählich alle verrichtungen und pflichten an ihn übergegangen.

sie war nur noch beobachterin, durfte sich in seinem heim geborgen fühlen und die von ihm zubereitete nahrung genießen. auch den schnee zum schmelzen des kochwassers besorgte er. zu gefährlich für sie, wie er meinte. sie war sein ein und alles, das nicht unnötig gefährdet werden sollte. und außerdem wusste er besser, wo die saubersten stellen mit dem reinsten schnee zu finden waren.

manchesmal, wenn sie um die biegung gegangen und so seinen blicken entzogen war, hatte sie sich dort in der deckung eine handvoll schmutzigen schnees in den mund geschoben, ohne diesen vorher von erd- oder pflanzenresten zu säubern. wenn sie danach zu ihm zurückgekommen war, hatte sie sich stets innerlich beschmutzt gefühlt. doch niemals waren die verdienten magenschmerzen oder andere beschwerden eingetreten.

sie beneidete ihn um die zufriedenheit, um diese erfülltheit, die er darin fand, das basislager zu hegen und zu pflegen. all diese kleinen handgriffe, die sie so ärgerten, weil sie stets aufs neue zu erledigen waren, verrichtete er mit einer hingabe, die sie nur in situationen aufbrachte, die für sie aus dem alltäglichen herausragten. sie beobachtete ihn oft beinah befremdet, wenn er seine kontrollgänge um das zelt vornahm und den halt der schnüre und heringe prüfte. da und dort liebevoll nachkorrigierte.

so würde sie das nie können. es war ihr keine erfüllung und sie fühlte sich ihm darin unendlich fern.

mittlerweile hatte sie sich bei ihren alleingängen hinter die biegung angewöhnt noch ein stück weiter bis an eine klippe zu wandern. sie hatte ihm diese klippe bewusst verschwiegen. erst noch, um ihn nicht unnötig zu beunruhigen. sie wusste ja, dass er sich sorgte. inzwischen war es zu etwas geworden, das sie nicht mit ihm teilen wollte.


....

sie war zunächst nur in die nähe der schroffen kante gegangen, hinter der es in die tiefe zu gehen schien. der kitzel dieses leise geahnten wagnisses war ihr vorerst genug gewesen. sie wollte sich ja nicht ernsthaft in gefahr bringen. was würde er ohne sie anfangen, wenn ihr etwas zustieß, nur, weil sie einmal unbedacht handelte?

doch in weiterer folge war sie jedesmal ein stückchen näher an den abgrund herangetreten. nicht sehen zu können, was in der tiefe auf sie warten mochte, übte eine geradezu magische anziehung auf sie aus. tief in ihrem inneren hatte sich etwas zu regen begonnen. lebendig fühlte es sich an. so herrlich lebendig inmitten all der erstarrung der so gehegten und gepflegten sicherheit.

seitdem war sie stets wundersam belebt, ja gradezu erregt zu ihm in das basislager zurückgekehrt. seine bedachtsamkeit war ihr dann im kontrast zu ihrer inneren unrast nur noch gegensätzlicher und fremder erschienen. er musste ihr doch förmlich ansehen, dass in ihrem inneren etwas zu brodeln begonnen hatte. ein sehnen, das nun geweckt worden und eben erst daran war, all seine energien zu entfalten. all seine köstlichen, verlockenden aromen.

gipfelduft und feuchtkühler süßlicher geruch modrigen laubs und morscher, gefallener stämme an schroffen steilhängen unter ihr aus vergessenen, unentdeckten tiefen. beides umspülte sie dort an der klippe, währnd sie dabei den herrlich schmutzigen schnee auf der zunge zerschmelzen ließ. jeden tag. drang über jeden ihrer sinne tief in sie und zog sie unentrinnbar weiter mit sich, hin zur kante.

doch er hatte ihr nur jedesmal sein übliches, warmes lächeln geschenkt, ihr einen flüchtigen kuss auf die windgekühlte wange gedrückt und sich dann wieder seinen pflichten im lager zugewendet. es war das, was er für sie tun konnte. das, was er gut konnte. sie wusste das. dennoch genügte es ihr plötzlich nicht mehr. und sie hasste sich für ihre unbescheidenheit. sie war in ihren augen eine verräterin an ihrem gemeinsamen glück.

sie hätte so gern das lebendige, das sie dort an der klippe fand, mit ihm geteilt. vielleicht, wenn sie ihn nur endlich leidenschaftlich genug küsste und dabei ihr ganzes sehnen, die ganze lebendigkeit, die sie von dort mitgenommen hatte, in ihn zu atmen vermochte, würde er erkennen!
sie versuchte es jeden tag aufs neue. irgendwann schließlich mit tränen in den augen. lang und mit all ihrer seele. wenn sie es nur richtig anstellte, musste er doch irgendwann das fühlen und verstehen, was sie ihm so verzweifelt versuchte beizubringen.

doch so, wie all ihre worte versagt hatten, versagten auch ihre küsse. schließlich gab sie auch das auf und küsste von da an nur noch mechanisch. alles andere schmerzte zu sehr. wenn es ihm aufgefallen war, so zeigte er es nicht. wenn er sich sorgte, weil sie in letzter zeit immer öfter weinen musste, wenn er ihr nahe kam, so gelang es ihm, auch das gut zu verbergen.

die zeit heilt alle wunden“ würde er wohl zu ihr sagen, um sie zu trösten. er würde es mit all seiner liebe zu ihr in der stimme sagen. das wusste sie.
doch nun war es die zeit, die die wunden schlug und jeden tag weiter aufriss. also war sie froh, dass er die worte nicht aussprach. sie wusste nicht, ob sie sie und seine liebe darin hätte ertragen können.

sie hatte begonnen, die worte auf kleine zettelchen zu schreiben und diese zu papierpropellern zu falten, die sie dann über die kante schickte. ihnen beim hinuntertrudeln zuzusehen, hatte etwas tröstliches, auch wenn sie nicht genau hätte sagen können, warum.

mit der zeit hatte sie sich auf dem bauch robbend bis an die kante vorgewagt. sie streckte ihren kopf darüber, um den propellern bei ihrem abwärtsflug in die tiefe zuzusehen. manche verfingen sich, zu nah an den schroffen steilhang geweht, im gestein, wo sie ab und zu noch vom wind erfasst zuckten, als lägen sie in ihren letzten verzweifelten zügen. andere entschwanden sacht tiefertrudelnd ihrem blick. sie stellte sich dann vor, wie diese behütet auf der talsohle landeten, um dort eine neue welt zu erkunden.

sie ertappte sich eines tages dabei, dass sie währenddessen ein lied einer ihrer lieblingssängerinnen summte, das sie schon gemocht hatte, lange bevor sie ihn kennen- und lieben gelernt hatte. plötzlich machte der text sinn!

...every morning I walk towards the edge
and throw little things off.
like carparts, bottles and cutlery,
whatever I find lying around.
I listen to the sounds they make
on their way down,
I follow with my eyes 'til they crash.
I imagine what my body would sound like
slamming against those rocks...
and when it lands,
will my eyes be closed or open?
I go through all this before you wake up,
so i can feel happier to be safe up here with you.“

und sie verstand und erkannte: sie war die person in dem lied! und sie war sie schon immer gewesen.

würde auch ihr genügen, dinge über die klippe zu werfen und der fantasie den rest zu überlassen? vermutlich musste sie nicht alles mit ihm teilen. sehr wahrscheinlich konnte sie das auch gar nicht. so, wie ihre papierwünsche ihren weg in die tiefe fanden, würde auch sie den ihren finden. nicht immer an seiner seite, für sich allein und dorthin getragen, wo der wind es für sie vorgesehen hatte.

sie rappelte sich hoch auf ihre knie, weg von der kante, um sich auf den rückweg ins basislager zu machen. den anblick des von wind und wetter zerfetzt in der felswand hängenden papierpropellers einige wenige meter tiefer unter ihr sperrte sie tief in ihrem innersten ein, um ihn dort so gut wie möglich zu vergessen.

während des rückwegs beschloss sie, ihn zu fragen, ob er im basislager auf ihre heimkehr warten würde, wenn sie allein richtung gipfel aufbräche. vielleicht würde er sie ja dann wenigstens vermissen. sie wusste, sie würde ihm damit wehtun. vielleicht würde er ja dann nachfühlen können, welche schmerzen sie schon viel zu lange für sie beide mit sich herumtrug.

sicher war sie sich allerdings bei gar nichts mehr. und war nicht die sicherheit das, wovon sie sich wegbewegen wollte? es war diese verfluchte sicherheit, die sie so lebensmüde machte.


gipfelluft drang in sie ein und begleitete sie auf ihrem weg. zurück zu ihm.




.2008
zitat liedtext: björk, "hyperballad"

Die Asphaltfee und der Keiler

solange die asphaltfee sich erinnern konnte, war alles grau, hartkantig und kalt , wenn sie alleine durch die großstadtschluchten ihres reviers wanderte.

leere fensteraugenhöhlen starrten teilnahmslos und starr in reih und glied auf sie herab. fußgänger, die ihren weg kreuzten, sahen durch sie hindurch, in gedanken versunken, als wäre sie gar nicht da. sie war es gewohnt und fühlte sich in der vertrautheit der anonymität wohl.
meistens zumindest. nur manchmal war da dieses leise sehnen. wie eine erinnerung, die ihr stets entschlüpfte, bevor sie ihrer ganz habhaft werden konnte.

als sie dem keiler begegnete, lag frühlingserwachen in der luft, das sich bis in die tiefen der betonwälder gedrängt hatte. schon den ganzen tag waren ihre sinne bereit für ein erblühen, auch wenn sie noch nicht wusste, was da zu sprießen begonnen hatte.

plötzlich stand er einfach vor ihr. an der kreuzung im morgenlicht einer sonne, die nur an schmalen stellen ihren weg zwischen den schluchten hindurch ins herz der stadt fand. mitten in der verkehrshektik der städtischen betriebsamkeit. sein fell war dicht und borstig, sein geruch so naturnah, dass die menschen in ihren business-outfits furchtsam einen großen bogen um ihn machten, um nur ja nicht mit ihm in berührung zu geraten.

doch er ignorierte sie einfach. stand dort. unverrückbar und grunzte. ungeniert, laut und genüsslich. so fremd war der klang seiner laute hier in der city, dass er sich von all den motorengeräuschen, klappernden absätzen eifriger büro-ladies, fahrradklingeln und straßenbahngebimmel und -gequietsche abhob. wie ein ton, der herausfiel aus dem ganzen, weil er nicht hierhergehörte und dennoch sein ganz eigenes revier damit in anspruch nahm.

sein blick war auf sie gefallen.
sie war abwartend erst einmal still stehengeblieben. war einerseits auf der hut, andererseits wollte sie dieses stolze tier nicht verschrecken oder gar gegen sie aufbringen. ihr instinkt sagte ihr, dass es sich ebenso ein klein wenig fremd in seinem eigenen revier hier fühlte wie sie auch manchesmal. so, wie sie sich hinter der fassade der ruhigen, unnahbaren versteckte, ahnte sie, dass seine fassade des lauten, wilden tieres etwas verbarg, das sich nach sanftheit sehnte. nach berührt-werden und stillhalten-dürfen, ganz ohne gefahr.

sie streckte sachte die hand nach ihm aus. zwischen ihnen lagen noch gut vier, fünf meter. dennoch knisterte das fell des keilers leise und einige der borsten richteten sich auf, als würden sie elektrisch angezogen von ihren fingern. auch sie konnte ein zartes kribbeln in ihren fingerspitzen wahrnehmen.

gebannt von der gegenseitigen anziehung, bewegten sie sich aufeinander zu. langsam, dennoch stetig und von einer neugier getrieben, die mehr war als bloßer wissensdurst.

er reichte ihr bis an die taille. seine hauer waren stattlich, wie seine ganze erscheinung und standen in starkem kontrast zu ihrer zartheit. doch in seinen augen lagen ein erkennen und eine einladung. sanft glänzten sie ihr entgegen, während sie einen fuß vor den anderen setzte.

er war mitten auf der kreuzung und den darauf verlaufenden straßenbahnschienen stehen geblieben, doch anstatt – wie sonst auch – wütend zu bimmeln, hielt der wagenführer den zug einfach an. auch die anderen fahrzeuge und passanten waren zum stillstand gekommen. erstarrt, als hätte eine unsichtbare hand den film angehalten. nur noch sie und der keiler. keine geräusche drangen zu ihnen durch. nicht die kleinste regung.

der keiler grunzte noch einmal leise und schüttelte seinen massigen kopf, als sie ganz langsam vor ihm in die hocke ging. ihr herz schlug bis zum hals. doch das sehnen war erwacht und einfach stärker als jede furcht. sie musste ihn berühren!

vorsichtig legte sie ihre hand an seinen nacken. ihre finger berührten weiche, warme, starke, geschmeidige borsten. ihre augen registrierten sein zartes, angespanntes zittern, das unter dem fell entlanglief. ihre nase roch wald, natur, wildheit und leben. dann strich sie über seine kruppe. sacht. sich vorantastend. neuland erobernd.

er ließ es geschehen. schließlich lehnte er sich ihr ein wenig entgegen und schloss die augen. voller vertrauen, voller hingabe.

es war der moment, in dem sich die senkrechten linien der betonriesen um sie herum in hohe baumstämme verwandelten. wo jedes fenster äste trieb, an denen saftiggrüne blätter wuchsen. wo die fußgänger zu farnbündeln am wegesrand wurden, über die sie so gerne mit ihrer offenen handfläche striff im vorübergehen. berührung schenkend und empfangend zugleich. wo autos zu steinbrocken, zu findlingen im wald wurden, die moosüberwuchert ihren platz gefunden hatten und stillstanden. vögel flogen hoch über ihnen zwischen den baumwipfeln hindurch. alles lebte und pulsierte. so wie sie beide aneinander.

mit ihm war ihre natur zu ihr zurückgekehrt. mit ihr die leisen töne zu ihm. sie vergrub ihr gesicht an seinem fell. atmete ihn ein.

dann schwang sie sich auf seinen rücken und ließ sich von ihm weitertragen. sie beugte sich vor und flüsterte in sein ohr: „du“.


japanischer garten

reche
unendliche kreise
in kies

tauche
unter wogen
aus stille

herbstfarben 
fällt fächerahorn
sacht
auf steine

bette gedanken
auf moos
zur ruhe

davor
und
danach

werden jetzt




.2009


mein kartograph

mit trägem finger
malst du spuren
auf erhitzter haut

kartographierst reiserouten
gemeinsamer wege

nacherzählungen
von suchen
finden
und kommen

geschrieben
in unserer tinte

nur kurz verweilst du
spürst nach
dem beben
der täler und gipfel

die wärme meiner erde
trocknet deine einträge
zu geheimer inschrift

bevor sie verblassen
ein neuer aufbruch
zu altbekannten zielen


ich komme dir entgegen




.2009