Mittwoch, 23. November 2022

Ankommen




Spiegelglatt liegt heute der See.
Dahinter liegen, oberhalb eines schmalen Saums aus sanften, bewaldeten Hügeln 
und unter einem wolkenlosen Himmel, die schroffen Felswände der Gebirgskette.
 
Noch gehört der Badeplatz mir allein. 
Nur das alte Schwanenpärchen macht an seinem Übernachtungsplatz neben der kleinen Badehütte entspannt Morgentoilette. 
Sie glätten mit den Schnäbeln ihr Gefieder, rupfen, zupfen sanft. 
Ab und zu schwebt eine kleine, weiße Feder in das noch feuchte, grüne Gras.

Während ich langsam in den See wate, tupft die Morgensonne vor mir unzählige Glanzlichter 
auf die sanften Kräuselungen der Wasseroberfläche.   
Als wäre der Nachthimmel mit seinen unzähligen Sternen im See zu Bett gegangen und würde nun vom Tanzen träumen.
Das Funkeln breitet sich aus, legt sich auf mein Gesicht; ich blinzle und mir wird warm. 
Für einen Moment hüllt es mich völlig ein, gemeinsam mit der weichen Kühle des Sees. 

Mit einem letzten Schritt stoße ich mich ab. 
Finde meinen Rhythmus. 
Spüre, wie die Kraft meiner Beine mich vorwärtsschiebt. Ich gleite.
Schiebe mich mit den Armen weiter. Gleite. 
Atme. Schiebe. Gleite in das Gefunkel vor mir. 
Atme. Schiebe. Gleite.

Natürlich erreiche ich es nie. Es gleitet mit. 
Hält mich auf Abstand, lockt mich als ein Versprechen von Glückseligkeit.
 
Ich finde sie im Spüren meines Körpers. 
Seiner Kraft. 
Der Natur.
In der Gleichmäßigkeit der Bewegung. 
In einem Gefühl von Unendlichkeit.
Im Atem, der den Rhythmus bestimmt. 
In mir. 





.juli_2022

olfaktorisches




noch heute finde ich mich im moment -
betört vom duft wilder narzissen -
auf almen wieder unter lichtem blau,
in dem vom gelb der trollblumen
betupften satten grün der wiesen,
als kleines kind von vielleicht vier;

ich trotze dunklen teufelskrallen 
und fühle unterm lattichhut 
den mut verwegener entdecker,
großmutters hand, die warme sonne
in ihren augen, wenn sie lacht,
und meine siebenmeilenstiefel
aus rotem gummi an den füßen.

in unsren mündern prickelnd süß
vom beutezug im himbeerschlag
der nachgeschmack erfüllter zeit,
geteilten glücks und so viel
liebe. 





.aug_2022

wien_sommer_sechster stock_altbauküche

seit einigen wochen 
kann ich dein frühstücksgesicht 
nicht lesen 
geblendet
bin ich vom sonnenlicht
im fenster
auf der anderen seite der straße 
dein umriss noch immer
so vertraut
abfallende schultern
ein sanft geneigter kopf
manchmal weht
das rechteckige segel
aus verwaschenem rosa vorüber
und es raschelt
beim umblättern
dann rieseln verirrte buchstaben
unausgesprochener worte
auf deinen teller
fragmente ungeteilter gedanken
ich blinzle
beim versuch dich zu sehen
doch es glitzert 
nur der honig
der von deiner semmel
zähflüssig 
in die stille tropft





.aug_2022

heimwärts im letzten licht



heute an der weggabelung
sah ich den waldrand eine
feine schwade samtigen nebels
ausspucken mir entgegen
über das feld schicken ein
atemfetzen vom bach dahinter
wie ein hingehauchter schleier
der über letzte sonnenblumen
zwischen weißen blüten einen
weichen saum legte flüchtig und
wie eine ahnung so zart 

der einsame jagdstand
wurde zur boje in sanften wogen
ich schwankte kurz wählte
den weg heimwärts im schwindenden
licht der ruf des fasans durchschnitt 
wie eine schartige klinge den
abend ein letzter blick zurück die
nebelschwade war fort verwoben 
in die herankriechende
dunkelheit





.okt_2022

Liebeslied

(Villanelle) 



Und wieder rollt ein Röhren durch das Tal,
kriecht durch die Wälder, über Hänge bis ans Haus.
Ich lausche schaudernd, stumm, wie jedes Mal.

Für sie sein schönstes Lied als ihr Gemahl;
er schickt's aus voller Kehle weit hinaus.
Und wieder rollt ein Röhren durch das Tal.

Das letzte Licht des Tages, nebelfahl -
als löschte er's mit seinem Rufen aus.
Ich lausche schaudernd, stumm, wie jedes Mal.

Ich zähl die Strophen. Vier sind's an der Zahl.
Der letzten geht ein Klagelaut voraus.
Und wieder rollt ein Röhren durch das Tal.

Die Angebetete, so zart und schmal -
wann kommt sie wohl? Tritt aus dem Wald heraus?
Ich lausche schaudernd, stumm, wie jedes Mal.

Sein Lied - wie klingt's für mich nach Sehnsuchtsqual!
Kein andrer Laut drückt dieses besser aus!
Und wieder rollt ein Röhren durch das Tal.
Ich lausche schaudernd, stumm, wie jedes Mal. 






.nov_2022

Donnerstag, 17. November 2022

heben und senken

 


nur kurz heute
hob sich
die nebeldecke
der sonne entgegen
gab mir die ahnung
von wärme
auf kühlem laub
und die sicht auf
bewaldete bergrücken
verwandelte krähen
von rufen zu schatten
bevor sie sich senkte
und mit ihr
die stille kam






.sept_22

Am Buchberg



drückend und schwül steht heut die luft
am buchberggipfel ringsumher.
vor schwarzen wolkentürmen ruft
der bussard und gewitterschwer
verhängt der dunst schon berg und see,
verblauen schiffe, wälder, gipfel,
verschmilzt fast alles, was ich seh,
zu heißem dampf. die letzten wipfel
verlieren ihre scharfen schatten,
es schwinden dörfer, almenmatten -
als wärn sie dieser welt entrückt; 
als wär die hinter zauneslatten
am wegesrand nicht mehr bestückt.

's gibt nur noch mich, des pfades boden,
an seinem saume letzte stämme,
dazwischen ein paar waldgrassoden,
ein grollen, welches bergeskämme
im rollen seiner echos malt;
ein noch gebändigtes gekose,
das von gesteines wänden hallt. 
nicht lang; dann brechen mit getose
die allerletzten wolkendämme,
ergießt sich eine flutenschwemme,
um kraft ihrer naturgewalten
- ganz ohne, dass sie etwas hemme -
den berg aufs neue zu gestalten!

der bussard ist davongeflogen,
ich flieh zur alten holzknechthütte. 
als dann das wetter fortgezogen,
lenk ich behutsam meine schritte
den berg hinab - auf neuen wegen.
das herz klopft laut, die knie sind weich.
die alten pfade fraß der regen.
ich menschlein bin noch! welch ein segen!
dies ist des wettergottes reich!





.aug_22

Werden und Vergeh'n

(Kyrielle)




Wenn Abendrot den Berg behaucht,
die Watteschäfchen rotbebaucht
im letzten Blau am Himmel stehn:
ein Spiel von Werden und Vergeh'n.

Vom grauen Acker blick ich hoch:
wie lange wärmt die Sonne noch?
Bald kann ich meinen Atem seh'n,
gewebt ins Werden und Vergeh'n.

Der Weinschwärmer liegt längst verpuppt,
die Tannenzapfen kahlgeschuppt;
sie zeigen an, dass wir uns dreh'n
im Kreis von Werden und Vergeh'n. 

Schon bald hat Winterschnee verdrängt, 
was Herbst mit Füllhorn ausgeschenkt.
Und aus den Wipfeln rufen Kräh'n
ihr Lied von Werden und Vergeh'n.

Den Kranichen ist's einerlei,
wie jedes Jahr zieh'n sie vorbei.
Wohin sie auch die Winde weh'n,
stets heißt es: werden und vergeh'n.





.okt_22
 

tischnummer vier

 


und endlich wird es in mir still
gespräche verwaschen
zu einem teppich 
aus sanftem gemurmel
drüben am fenstertischchen
die dunklen silhouetten 
zweier damen über cremeschnitten 
gebeugt und vom alter
nur kurz verschwinden sie
vorm schwarzen farbband
als die tram vorbeirauscht

der regen bleibt draußen
nur ab und zu heftet er sich
neugierig an die fersen 
eines neuen gastes
gemeinsam mit einer flüchtigen
ahnung von verkehrslärm
ähnlich vergänglich und 
wiederkehrend wie das 
leise klingeln rührender löffel 
in stets zu kleinen tassen

ich halte mich fest
am duft des kaffees
an der bauchung des porzellans
lasse mich zärtlich zudecken
vom rascheln gemächlich geblätterter 
zeitungsseiten
vom genäselten dialog
der zwei alten herren am tisch
nebenan wird die welt in worte
gefasst und nichts ist so wichtig

dass nicht die zeit für eine weile
angehalten werden kann
im kaffeehaus





.sept_22

Wohnbauzeitalter

 





Ganz langsam schluckt ein Ungetüm den Himmel,
das dieses Jahr vor meinem Fenster wächst -
endgültige Versiegelung des Flecks
von letztem Grün im Viertel. Das Gewimmel


der gelben Helme und der blauen Dressen
erobert stetig hämmernd die Etagen
mit Kabelsträngen, Schalholz und Drainagen,
sprayt grüne Hieroglyphen nach Ermessen.


Und mittendrin, als würd es eingemauert,
leuchtend orange ein stählernes Skelett.
Es schwenkt und baut sich sein fossiles Bett.
Wird man es dort einst finden - hingekauert?


Erstarrt, geplättet, im Beton erstickt?
Ach nein - ich bin's, den dieses Haus erdrückt!





.okt_22

Meiner Hundemaus


 



Ach, Hundemaus, wie fehlst du mir!
Du warst mir ein so treues Tier!
Ein Jahr ist es nun bald schon her
und langsam spür ich dich nicht mehr...


Dein helles Fell, so zart und weich,
wie's Trost spendet mit jedem Streich.
Die Nasenstuppser, kaum zu spür'n,
die mich zum Kraulen soll'n verführ'n.
Dein Trippeln auf dem Holzparkett,
mein Aufwecklied im Morgenbett.


Die Origami-Öhrchen auch,
deinen mir dargereichten Bauch.
Den Hundeblick - so sanft und tief.
Dass du stets kamst, noch eh' ich rief.
Und wenn wir saßen vorm Kamin,
fest Po an Po - wie Medizin.


All das; ich merk, wie es verblasst.
Wie Spur'n, die du gezogen hast
mit mir gemeinsam in den Schnee.
Zerschmolzen, fort. Ach, Maus...adieu!



okt_22

ohne earpods




unter dem hallen 
in der halle
ein konglomerat gewebt aus 
lauten lauten
auf pflasterfugen rumpeln
hartschalenkoffer damenschuhe 
hacken takt für takt 
ins trottoir der dreiton 
vor bahnsteigdurchsagen
verweht mit abschiedsrufen
und dem geflatter der 
bahnhofstauben dazwischen 
zischt pneumatisches 
und auch mal die bahn durch
ein scharfer pfiff 

zerschneidet 

und bei genauem hinhören 
ganz leise auch 
das tock 
tock 
tock 
eines gehstocks
vernachlässigbar 
im tonalen querschnitt
der rastlosigkeit






.okt_22