Mittwoch, 11. Oktober 2017

Metamorphosis

Herbstlaub, mählich mürb gemacht,
setzt, zersetzt sich, wird zu Erde,
dass im Frühjahr Neues werde,
aufersteh in aller Pracht!

Letzter Farbrausch, ein Sich-Bäumen,
Einmal-noch-vom-Sommer-Träumen,
hat ein warmes Glühn entfacht,
welches leise und ganz sacht

Wurzeln schlägt in unsern Seelen,
Glut wird, nährend, während Schwere
ersten Eishauchs letzte Ähre
bricht, um sie uns fortzustehlen.

Für ein Weilchen bloß! Im Stillen
muss das Wunder sich erfüllen
ewgen Kreislaufs, Jahr für Jahr.
Wandlung heißt, dass Nichts bloß "war".





.Oktober 2012

Das verwunschene Haus

(einem heiteren Dicht-Wettstreit entsprungen)


Schon immer, scheints, stand an des Waldes Saume,
umhüllt von Brombeerranken, ein Gemäuer,
als wäre es entstiegen finsterm Traume.

Noch keinem Wandersmann wars dort geheuer,
der hoffnungsvoll drin Schutz und Raststatt suchte,
sich aufzuwärmen an des Herdes Feuer.

Warn auch die Wandrer noch so wildverruchte -
schlugs zwölfe erst vom Kirchhof her im Turme,
da regte sich das Haus, das langverfluchte:

es schlugen Fensterläden wild im Sturme,
die Dielen ächzten unter schweren Tritten!
Der Mutigste sogar ward drob zum Wurme,

ist schreiend hoch zu Ross rasch fortgeritten,
davongestolpert, war er bloß zu Fuße;
hat um ein Haar den Schreckenstod erlitten,

im Ohr gehauchten Klang vom Geistergruße.
Vergessen wurd gesucht auf Bierkrugs Grunde,
nicht wenige auch taten betend Buße.
Doch alle warn ergraut seit jener Stunde.





.März 2012
(Terzine)

zu spät gestellte frage

lieber herr gernhardt,
ich will es nun wagen
und möchte sie fragen,
ob in all ihren tagen,
auch dann, wenn glück fern ward,
man das leben noch gern hat.

ich weiß, das klingt dumm!
nehmen sie´s mir nicht krumm -
ich bitt sie darum!

doch in ihren gedichten
und auch den geschichten
verträgt sich schlechtes mit gutem
und das lässt mich vermuten,

dass das leben für sie
immer war, was es ist;
nie ganz immer, niemals nie,
doch stets glück neben leid, 


und voll sinn und beschiss.





.Juli 2008



unsichtbar

heut war wieder einer jener tage
an denen ich unsichtbar
durch die stadt gehen konnte
inmitten der dichten menschenströme
schlenderte ich neben der zeit
die auslagenscheiben entlang
hangelte meine gedanken
mechanisch mit meinen blicken
von auslegeware zu hausmauer
zu auslegeware zu
hausmauer zu versunken
in mich
unberührbar für die außenwelt
im grau in grau des asphalts
lineare muster
denen ich folgte
bis zu dem punkt
an dem du mich angerempelt hast
und ich erkennen musste
dass ich einsam bin

unter vielen





.2008

auf der baumgartner höhe, pavillon annenheim



bitte, mama,
erzähl mir von deiner angst!
ich weiß, sie erfüllt das kahle zimmer,
sobald die besuchszeit zu ende ist
und die flügeltür hinter mir zufällt.

du sprichst nie.
wenn, dann über die schlagzeilen der illustrierten von vor drei monaten,
die hier herumliegen,
oder deine zimmergenossinnen.

nie fragst du.
nicht um trost.
nicht um hilfe.
nicht danach, was mit dir geschehen wird.
dann, wenn der krebs beginnt, dich vollends zu verzehren.
hüllst dich in palliatives totschweigen.
so wie dein ganzes leben schon.

meine angst
nehme ich jeden tag, an dem ich kommen kann, mit.
lasse sie gut angeleint vor deinem zimmer warten,
um sie beim nachhauseweg dort wieder abzuholen.
sie übernachtet bei mir.
jede nacht
seit du nur noch darauf wartest, dass „es“ vorbei geht.

du wolltest nie, dass wir,
deine töchter, dich so sehen.
nun kannst du nicht einmal
meine helfenden hände an dir ertragen,
meine gutgemeinten worte hören, die dich so quälen,
meine haltsuchenden blicke erwidern.
ich verspreche, ich werde nicht hinsehen!
ich verspreche, ich werde dieses bild von dir vergessen!
mein erstes wichtiges versprechen,
das ich nicht werde halten können.

doch du schweigst.
lange, bevor du die sprache verlierst.
bevor du hinter nebelwänden aus schmerzlosigkeit verschwindest.
sie verschlucken dich eines tages.
dann bist du nicht mehr da.
obwohl wir dich noch deutlich sehen können.
nur zu deutlich.

die angst
mag nun nicht länger draußen warten.
weit offen
steht die flügeltür.
vogelgezwitscher im park.

schließlich bist du verstummt.
anders als das vertraute schweigen,
das dich durch dein ganzes leben begleitet hat.
lässt uns zurück,
ohne dich jemals ganz erfahren zu haben.
dein blick ist so fern.
nun kann ich sie nicht einmal mehr
in deinen augen lesen,
deine angst .

ich hätte sie auf meinen schultern
mit zu mir nach hause getragen,
damit sie dir nicht länger zur last fällt.
jede nacht
und jeden tag.
sie hätte zu meiner angst gesprochen
wie eine alte bekannte.
vom mut der verzweiflung.
von den schönen dingen, die waren.
von der hässlichkeit.
von der natur der vergänglichkeit.
von ihrem eigenen wesen.
und ich hätte zugehört.

so
wie ich dir immer zuhören wollte.

stille.
endgültig und unerträglich wie am ersten tag.

meine schultern tun so weh.






.2008 (2005)


familienfotos

heut hab ich staub 
von deinem gesicht 
gewischt
und deinen wärmenden blick 
wiedergefunden

doch deine lippen
verschließen sich noch immer
wie in all den jahren
meines kindseins
jedem liebenden wort

dort
lasse ich den staub einfach 
liegen





.Juni 2008





annäherung

abstand zu halten
mich langsam
nicht vertrauten
unebenheiten zu nähern
schützt
vor hautabschürfungen
und so manchen
platzwunden
nach dem aufprall

ich sollte es wissen
mittlerweile

doch ich lege
so gerne
meine wange

an raues gestein







.Oktober 2008

ohne titel

der grund, weshalb ich ingeborg
nur ungern manche dinge borg
ist ähnlich dem, warum der gerd
auch nicht mit meinem wagen fährt.




.April 2016

vom brechen

auf bricht nach langem frost die kruste.
an bricht nun frühling und was ruhen musste
unter dem bruch des laubs vom letzten jahre,
bricht auf mit ihm, bricht aus der winterstarre.





.März 2010

Mittwoch, 4. Oktober 2017

Kleine Ode an den Herbst

Krümmt Trockenheit schon graue Borke
und knistert Laub rotbraun im Wald,
ruhn längst im Schuppen Saat und Forke,
ist Sommers Klang weithin verhallt,

und knarren laublos weiße Birken
gemächlich über rotem Meer,
hat Herbst mit leisem Zauberwirken
den Wald ganz ohne Gegenwehr

in seinen sanften Bann gezogen,
zur Ruh alle Natur gebracht.
Ganz unbemerkt kam er geflogen
auf weichen Schwingen über Nacht.

Vergänglichkeit, nie bist du schöner
als so in all der Farbenpracht!
Nie bist du sanfter als in jener
so goldnen Zeit voll Abschiedsmacht!

Nie fühl ich Wehmut reiner, süßer,
als just zu dieser Jahreszeit.
Ich lieb dich, Herbst, mein Wintergrüßer!
Du machst mir Herz und Seele weit.




.Oktober 2017