selten hat mich jemand
so wie du
berührt
niemals jemand
so wie du
verführt
nie zuvor mich jemand
so wie du
gesehen
werd ich jemals
dieses glück
verstehen?
.jan_2013
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Montag, 27. Februar 2017
Mittwoch, 22. Februar 2017
Donnerstag, 2. Februar 2017
Winterwald-Villanelle
Im
Winterwald ist heute Feen-und Elfenball,
geladen
sind die wundersamsten Gäste!
Es
tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl.
Da
freun sich Faune auf die Damenwahl
beim
feierlichsten aller Jahreszeitenfeste.
Im
Winterwald ist heute Feen- und Elfenball!
Weich
fallen Nymphenkleider, lang und schmal,
der
Zwerg von Welt trägt seine beste Weste!
Es
tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl.
Kalt
prickelt Schaumwein im Kristallpokal
und
am Buffet speist man stets nur das Beste.
Im
Winterwald ist heute Feen- und Elfenball!
Sieh
nur, welch Reigen unter Mondes Strahl,
Schneeglanz
im feinsten aller Tanzpaläste!
Es
tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl!
Vergleichbar
Schönes gibt’s nicht nocheinmal!
Es
zeugen tags darauf davon nicht einmal Reste.
Im
Winterwald ist heute Feen- und Elfenball.
Es
tanzen Zauberwesen dort in großer Zahl!
.2009
zwischenraum
aufrecht steh ich
unter bäumen
nicht verwurzelt
zwischen räumen
keine lücke
da für mich?
stehe still
zu meinen füßen
fühle leben
ringsum sprießen
spür mir nach
hier innerlich
hier innerlich
morgentau
auf meiner haut
rindengleich
rau und ergraut
wald und alt sein
möchte ich
wachsen
blühen
summen
fließen
ganz meine natur
genießen
so im dickicht
find ich mich
so im dickicht
find ich mich
.2008
walderzählung
raue
rinde
flüster
in mein ohr
aus
deinen tausend mündern
vom
winterwind
der
an dir zerrte
von
freund specht
der
in dir hauste
vom
flechtenkleid
das
dich im norden wärmte
und
vom knarrenden
chorgesang
der jahre
imitten
deiner brüder hier
ich
lege meine wange
an
deinen stamm
fühle
abschied
mit
deinem letzten laut
wirst
du den wald zerspalten
zur
ruhe kommen
auf
totem laub
.2009
Mal eben rasch
Ich
schreib mal eben rasch ne Villanelle,
weil
's mich entspannt und gute Laune bringt
so
ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.
Vergrätz damit so manche Dichterseele,
sag
ich - was zum Poetenhimmel stinkt - :
"ich
schreib mal eben rasch ne Villanelle."
Verleih
der Dichterwürde eine Delle,
weil
sie husch-pfusch die Vorgehnsweise dünkt,
so
ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.
Drum
geh in Deckung ich nun auf der Stelle
und
ruf von dort, sobald mir dies gelingt:
"ich
schreib mal eben rasch ne Villanelle!"
Im
allerseltensten Fall aller Fälle
man
lockerlässig diese Form bezwingt
so
ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.
Doch
ich schwimm auf des Größenwahnes Welle,
was
wohl den Dichterleichtsinn hier bedingt.
Ich
schreib mal eben rasch ne Villanelle
so
ganz mit links und flüchtig auf die Schnelle.
.2009
spax (selbstschneidend, mit kreuz)
ihr
magen drehte sich in die eine richtung, während die welt immer
rascher in der anderen um sie kreiste – eine kombination, die das
würgen, das sie bereits seit tagen in sich verspürte, noch
verstärkte.
„atme,
verdammt! atme!“ mahnte sie sich innerlich schroff und fast
verzweifelt zur ruhe. versuchte die panik niederzukämpfen, die
gefährlich nah an die oberkante ihrer fassung schwappte.
da
war nichts mehr, was trug. kein boden unter ihren füßen und kein
halt, der ihr ermöglicht hätte ihr schwanken, hervorgerufen vom
schwindelgefühl der ohnmacht, zu stoppen und sie zu stabilisieren.
sie
hätte sich am liebsten ganz klein in sich zusammengezogen. wäre
gern in ihr selbst verschwunden. innen drin fühlte es sich auch an,
als hätten ihre eingeweide genau das zu tun begonnen. eine art von
implodieren, ein sich-auflösen, das zumindest den vorteil gehabt
hätte, den druck nicht mehr ertragen zu müssen, der nun schon so
lange auf ihr lastete, ihr die luft nahm und jegliche orientierung.
das
war alles, was sie noch fühlen konnte. es hatte den platz
eingenommen, an den jene empfindungen hingehört hätten, die mit
ihren eigenen bedürfnissen zu tun hatten.
„bedürfnisse“
- sie betrachtete dieses wort gebannt und in sich gekehrt, als wäre
es ihr völlig fremd.
so,
wie worte, wenn man sie ganz oft hintereinander ausspricht, plötzlich
ihren sinn verlieren und zu einem klang werden, der losgelöst ist
von jeglicher bedeutung. sie machte das manchmal. eins der
lieblingsworte, die sie sich in regelmäßigen abständen derart
entfremdete, war „woche“.
„woche
woche woche woche woch e wo che wo chewo ch ewoche wochewo chewo ch e
wo...chhhhh“
was
war das? woche. es begann für die „anderen“ meist montags und
endete freitag abends. da gab es dann so etwas wie ein wochenende.
was ja wieder den anfang von einer neuen woche andeutete. den anfang
von irgendetwas. wenigstens etwas, das anfing.
in
ihrem leben gab es schon so lange keinen anfang. auch irgendwie kein
ende. sie hätte auch nicht gewusst, wovon. ein ende vom enden des
anfangs, der doch nie begann? ein anfang nach einem ende von etwas,
an das sie keine erinnerung mehr hatte, weil dafür kein platz mehr
in ihrem jetzigen leben war? wie fühlte es sich an zu enden? hätte
es etwas erlösendes? was würde enden? das nichts, das sie lebte,
konnte doch gar nicht enden. dazu hätte ja etwas vorhanden sein
müssen, das einen anfang und ein ende besaß.
da
war sie wieder, diese schleife in ihrem kopf. endlos, ausweglos,
spiralkurven in die tiefe drehend und sie sogartig nach unten
ziehend.
„atme!
hör nicht auf damit!“ zischte sie sich zwischen zusammengebissenen
zähnen zu. der atem beruhigte sie. er verließ ihren körper in
einer geraden bewegung und strömte ebenso gerade auf sie zu und in
sie ein. erfüllte ihr nichts mit luft und ließ eine ahnung an das
gefühl von kontrolle aufkommen. auch etwas, an das sie sich nur
verschwommen erinnerte.
„kontrolle“.
etwas, das nur von außen auf sie einwirkte. stets. immer.
ununterbrochen.
irgendwann
war ihre alleinige lebensaufgabe geworden, zu funktionieren. einer
kontrolle standzuhalten. ergebnisse zu liefern, die nicht als
ausschuss auffielen und deshalb ausgemustert gehörten. „muster“.
an ihnen konnte man sich festhalten. da war das muster für „tag“
- aufstehen, atmen, arbeiten, essen, atmen, schlafen.
ein
muster für „liebe“ - aufmerksamkeit schenken, wünsche von den
augen ablesen, immer für ihn da sein, wenn er da war, zärtlichkeit
geben, nicht zur last fallen.
und
eines für „glück“ - ein dach überm kopf, nicht allein sein,
ein gewisses maß an gesundheit sein eigen nennen und nicht hungern müssen.
es
ging ihr doch bestens! sie hatte ja stets volle tage, liebe und
glück. warum also immer diese angst und diese leere? warum dieses
empfinden, sie müsste sich doch eigentlich lebendiger fühlen und
konnte es nur aufgrund irgendeines defektes ihrer persönlichkeit
nicht?
„bedürfnisse
bedürfnisse bedürfnissebe dürfni ssebed ürfnis sebe dür fnisse
bed ürf nisse bedürftige nisse nie dürfen nissen wie du bedürftig
sein. nie! du nisse!“
die
stimme in ihrem kopf klang vertraut, als sie so zu ihr sprach.
das
kreisen hatte sich nun eine achse tiefer verlagert.
sie
hatte begonnen sich langsam in den asphalt zu bohren.
„selbstschneidendes gewinde!“ schoss es ihr durch den kopf.
gleich würde sie spurlos vom erdboden getilgt sein. der gedanke
hatte etwas erlösendes. etwas, das nie einen anfang gehabt hatte,
hätte nun wenigstens sein ende gefunden.
seltsam
ruhig und erstmals ganz ohne angst sagte sie mit fester stimme
„spax!“. dann schloss sich der boden über ihr. spurlos und ohne
das geringste geräusch.
als
sie am nächsten tag und auch am übernächsten und dem tag danach
und dem danach nicht zur arbeit auf der pflegestation erschien,
begann man sie zu vermissen. es war einfach zuviel arbeit
liegengeblieben, als dass man es noch länger hätte übersehen
können.
.2009
basislager
wieder
war sie allein bis um die nächste biegung gegangen, von wo aus man
den gipfel sehen konnte und hatte ihn beim zelt zurückgelassen.
er
war – wie so oft – damit beschäftigt, die heringe tiefer zurück
ins karge erdreich zu schlagen, die sich im verlauf der zeit
stückchenweise wieder herausbewegten. teils, weil der wind an den
zeltschnüren zerrte, teils, weil sie beide beim betreten und
verlassen des zeltes an ihnen zogen und die konstruktion so wieder
lockerten.
wie
lange würden sie noch hier im basislager bleiben müssen? sie fühlte
den rauen bergwind an ihrer haut. wie er versuchte, an ihr zu
greifen, um sie stückchenweise abzutragen. so, wie er es mit dem
berg selbst tat. sie schloss die augen für einen moment um nur zu
fühlen, zog dann die jacke fester um sich und stellte den kragen
auf. blinzelnd fixierte sie den gipfel. dort wollte sie hin. mit ihm.
sie erinnerte sich nicht mehr genau, wann sie dieses ziel festgelegt
hatten und warum die wahl auf genau diesen gipfel gefallen war. es
war wohl eine ihrer typischen bauchgefühlsentscheidungen gewesen.
und
wie immer hatte er vermutlich nicht viel dazu beigetragen, außer an
den entscheidenden stellen zu schweigen. dort, wo sie ihm ihre
sehnsucht mitgeteilt hatte. sie liebte es, ihm von ihren sehnsüchten
zu erzählen und hielt sie bei ihm für in guten händen. er schwieg
dann immer und unterbrach nur selten. sie hatte ihn für sein
aufmerksames und verständiges schweigen immer geachtet.
er
war so anders als sie. sie ergänzten einander in so vielen dingen,
wo sie einander gut taten. doch seit sie zu dieser expedition
aufgebrochen waren, war sie sich vieler dinge nicht mehr so sicher.
der
wind war hier oben ein ständiger gefährte. er umraunte und
bewisperte tag und nacht ihr lager, spielte seine melodie auf den
saiten der zeltschnüre und trug ihnen herrlich verlockende
gipfelluft zu. sie konnte sich eine stille ohne ihn gar nicht mehr
vorstellen.
stille.
sie redeten nicht mehr viel miteinander in den letzten tagen. wieviel
zeit hatten sie hier auf dem ersten plateau bereits zugebracht? eine
kleine ewigkeit, wie ihr schien. doch er meinte, sie könnten erst
weiter, wenn das lager hier in einem solchen zustand wäre, dass es
durch nichts gefährdet sein konnte. er hatte seine überlegungen wie
immer gründlich dargelegt und sie hatte nichts dagegen einzuwenden
gewusst.
jeden
tag hatte sie ihn zu überreden versucht, mit ihr um diese biegung zu
gehen und gemeinsam den gipfel zu betrachten. ihr gemeinsames ziel.
doch es hatte immer einen grund für ihn gegeben, im lager zu
bleiben. also war sie jeden tag allein gegangen.
in
der zwischenzeit hatte er sich darum gekümmert, alles sauber zu
halten. frischen tee zu machen und den proviant täglich neu zu
kontrollieren. anfangs hatten sie noch gemeinsam über dem
campingkocher ihr essen zubereitet und es aufregend romantisch
gefunden. doch irgendwann hatte sie gelangweilt vom ewiggleichen
aufgehört dabei zu helfen und war lieber zur biegung gewandert, um
den gipfel zu sehen. er hatte also auch das von da an alleine
erledigt. ebenso wie die immer wieder neu zu erstellenden
kalkulationen der essensrationierung für die weitere wegstrecke.
die
gründlichkeit mit der er diese dinge erledigte, gab ihm dabei etwas
für sie so „ausschließliches“. stets, wenn sie von ihrem
täglichen gang zur biegung zurückkam, war er in eine dieser
tätigkeiten versunken gewesen und hatte sie kaum wahrgenommen. da er
alles viel sorgfältiger und gewissenhafter erledigte als sie es je
vermochte, waren allmählich alle verrichtungen und pflichten an ihn
übergegangen.
sie
war nur noch beobachterin, durfte sich in seinem heim geborgen fühlen
und die von ihm zubereitete nahrung genießen. auch den schnee zum
schmelzen des kochwassers besorgte er. zu gefährlich für sie, wie
er meinte. sie war sein ein und alles, das nicht unnötig gefährdet
werden sollte. und außerdem wusste er besser, wo die saubersten
stellen mit dem reinsten schnee zu finden waren.
manchesmal,
wenn sie um die biegung gegangen und so seinen blicken entzogen war,
hatte sie sich dort in der deckung eine handvoll schmutzigen schnees
in den mund geschoben, ohne diesen vorher von erd- oder
pflanzenresten zu säubern. wenn sie danach zu ihm zurückgekommen
war, hatte sie sich stets innerlich beschmutzt gefühlt. doch niemals
waren die verdienten magenschmerzen oder andere beschwerden
eingetreten.
sie
beneidete ihn um die zufriedenheit, um diese erfülltheit, die er
darin fand, das basislager zu hegen und zu pflegen. all diese kleinen
handgriffe, die sie so ärgerten, weil sie stets aufs neue zu
erledigen waren, verrichtete er mit einer hingabe, die sie nur in
situationen aufbrachte, die für sie aus dem alltäglichen
herausragten. sie beobachtete ihn oft beinah befremdet, wenn er seine
kontrollgänge um das zelt vornahm und den halt der schnüre und
heringe prüfte. da und dort liebevoll nachkorrigierte.
so
würde sie das nie können. es war ihr keine erfüllung und sie
fühlte sich ihm darin unendlich fern.
mittlerweile
hatte sie sich bei ihren alleingängen hinter die biegung angewöhnt
noch ein stück weiter bis an eine klippe zu wandern. sie hatte ihm
diese klippe bewusst verschwiegen. erst noch, um ihn nicht unnötig
zu beunruhigen. sie wusste ja, dass er sich sorgte. inzwischen war es
zu etwas geworden, das sie nicht mit ihm teilen wollte.
....
sie
war zunächst nur in die nähe der schroffen kante gegangen, hinter
der es in die tiefe zu gehen schien. der kitzel dieses leise geahnten
wagnisses war ihr vorerst genug gewesen. sie wollte sich ja nicht
ernsthaft in gefahr bringen. was würde er ohne sie anfangen, wenn
ihr etwas zustieß, nur, weil sie einmal unbedacht handelte?
doch
in weiterer folge war sie jedesmal ein stückchen näher an den
abgrund herangetreten. nicht sehen zu können, was in der tiefe auf
sie warten mochte, übte eine geradezu magische anziehung auf sie
aus. tief in ihrem inneren hatte sich etwas zu regen begonnen.
lebendig fühlte es sich an. so herrlich lebendig inmitten all der
erstarrung der so gehegten und gepflegten sicherheit.
seitdem
war sie stets wundersam belebt, ja gradezu erregt zu ihm in das
basislager zurückgekehrt. seine bedachtsamkeit war ihr dann im
kontrast zu ihrer inneren unrast nur noch gegensätzlicher und
fremder erschienen. er musste ihr doch förmlich ansehen, dass in
ihrem inneren etwas zu brodeln begonnen hatte. ein sehnen, das nun
geweckt worden und eben erst daran war, all seine energien zu
entfalten. all seine köstlichen, verlockenden aromen.
gipfelduft
und feuchtkühler süßlicher geruch modrigen laubs und morscher,
gefallener stämme an schroffen steilhängen unter ihr aus
vergessenen, unentdeckten tiefen. beides umspülte sie dort an der
klippe, währnd sie dabei den herrlich schmutzigen schnee auf der
zunge zerschmelzen ließ. jeden tag. drang über jeden ihrer sinne
tief in sie und zog sie unentrinnbar weiter mit sich, hin zur kante.
doch
er hatte ihr nur jedesmal sein übliches, warmes lächeln geschenkt,
ihr einen flüchtigen kuss auf die windgekühlte wange gedrückt und
sich dann wieder seinen pflichten im lager zugewendet. es war das,
was er für sie tun konnte. das, was er gut konnte. sie wusste das.
dennoch genügte es ihr plötzlich nicht mehr. und sie hasste sich
für ihre unbescheidenheit. sie war in ihren augen eine verräterin
an ihrem gemeinsamen glück.
sie
hätte so gern das lebendige, das sie dort an der klippe fand, mit
ihm geteilt. vielleicht, wenn sie ihn nur endlich leidenschaftlich
genug küsste und dabei ihr ganzes sehnen, die ganze lebendigkeit,
die sie von dort mitgenommen hatte, in ihn zu atmen vermochte, würde
er erkennen!
sie
versuchte es jeden tag aufs neue. irgendwann schließlich mit tränen
in den augen. lang und mit all ihrer seele. wenn sie es nur richtig
anstellte, musste er doch irgendwann das fühlen und verstehen, was
sie ihm so verzweifelt versuchte beizubringen.
doch
so, wie all ihre worte versagt hatten, versagten auch ihre küsse.
schließlich gab sie auch das auf und küsste von da an nur noch
mechanisch. alles andere schmerzte zu sehr. wenn es ihm aufgefallen
war, so zeigte er es nicht. wenn er sich sorgte, weil sie in letzter
zeit immer öfter weinen musste, wenn er ihr nahe kam, so gelang es
ihm, auch das gut zu verbergen.
„die
zeit heilt alle wunden“ würde er wohl zu ihr sagen, um sie zu
trösten. er würde es mit all seiner liebe zu ihr in der stimme
sagen. das wusste sie.
doch
nun war es die zeit, die die wunden schlug und jeden tag weiter
aufriss. also war sie froh, dass er die worte nicht aussprach. sie
wusste nicht, ob sie sie und seine liebe darin hätte ertragen
können.
sie
hatte begonnen, die worte auf kleine zettelchen zu schreiben und
diese zu papierpropellern zu falten, die sie dann über die kante
schickte. ihnen beim hinuntertrudeln zuzusehen, hatte etwas
tröstliches, auch wenn sie nicht genau hätte sagen können, warum.
mit
der zeit hatte sie sich auf dem bauch robbend bis an die kante
vorgewagt. sie streckte ihren kopf darüber, um den propellern bei
ihrem abwärtsflug in die tiefe zuzusehen. manche verfingen sich, zu
nah an den schroffen steilhang geweht, im gestein, wo sie ab und zu
noch vom wind erfasst zuckten, als lägen sie in ihren letzten
verzweifelten zügen. andere entschwanden sacht tiefertrudelnd ihrem
blick. sie stellte sich dann vor, wie diese behütet auf der talsohle
landeten, um dort eine neue welt zu erkunden.
sie
ertappte sich eines tages dabei, dass sie währenddessen ein lied
einer ihrer lieblingssängerinnen summte, das sie schon gemocht
hatte, lange bevor sie ihn kennen- und lieben gelernt hatte.
plötzlich machte der text sinn!
„...every
morning I walk towards the edge
and
throw little things off.
like
carparts, bottles and cutlery,
whatever
I find lying around.
I
listen to the sounds they make
on
their way down,
I
follow with my eyes 'til they crash.
I
imagine what my body would sound like
slamming
against those rocks...
and
when it lands,
will
my eyes be closed or open?
I
go through all this before you wake up,
so
i can feel happier to be safe up here with you.“
und
sie verstand und erkannte: sie war die person in dem lied! und sie
war sie schon immer gewesen.
würde
auch ihr genügen, dinge über die klippe zu werfen und der fantasie
den rest zu überlassen? vermutlich musste sie nicht alles mit ihm
teilen. sehr wahrscheinlich konnte sie das auch gar nicht. so, wie
ihre papierwünsche ihren weg in die tiefe fanden, würde auch sie
den ihren finden. nicht immer an seiner seite, für sich allein und
dorthin getragen, wo der wind es für sie vorgesehen hatte.
sie
rappelte sich hoch auf ihre knie, weg von der kante, um sich auf den
rückweg ins basislager zu machen. den anblick des von wind und
wetter zerfetzt in der felswand hängenden papierpropellers einige
wenige meter tiefer unter ihr sperrte sie tief in ihrem innersten
ein, um ihn dort so gut wie möglich zu vergessen.
während
des rückwegs beschloss sie, ihn zu fragen, ob er im basislager auf
ihre heimkehr warten würde, wenn sie allein richtung gipfel
aufbräche. vielleicht würde er sie ja dann wenigstens vermissen.
sie wusste, sie würde ihm damit wehtun. vielleicht würde er ja dann
nachfühlen können, welche schmerzen sie schon viel zu lange für
sie beide mit sich herumtrug.
sicher
war sie sich allerdings bei gar nichts mehr. und war nicht die
sicherheit das, wovon sie sich wegbewegen wollte? es war diese
verfluchte sicherheit, die sie so lebensmüde machte.
gipfelluft
drang in sie ein und begleitete sie auf ihrem weg. zurück zu ihm.
.2008
zitat liedtext: björk, "hyperballad"
zitat liedtext: björk, "hyperballad"
Die Asphaltfee und der Keiler
solange
die asphaltfee sich erinnern konnte, war alles grau, hartkantig und
kalt , wenn sie alleine durch die großstadtschluchten ihres reviers
wanderte.
leere
fensteraugenhöhlen starrten teilnahmslos und starr in reih und glied
auf sie herab. fußgänger, die ihren weg kreuzten, sahen durch sie
hindurch, in gedanken versunken, als wäre sie gar nicht da. sie war
es gewohnt und fühlte sich in der vertrautheit der anonymität wohl.
meistens
zumindest. nur manchmal war da dieses leise sehnen. wie eine
erinnerung, die ihr stets entschlüpfte, bevor sie ihrer ganz habhaft
werden konnte.
als
sie dem keiler begegnete, lag frühlingserwachen in der luft, das
sich bis in die tiefen der betonwälder gedrängt hatte. schon den
ganzen tag waren ihre sinne bereit für ein erblühen, auch wenn sie
noch nicht wusste, was da zu sprießen begonnen hatte.
plötzlich
stand er einfach vor ihr. an der kreuzung im morgenlicht einer sonne,
die nur an schmalen stellen ihren weg zwischen den schluchten
hindurch ins herz der stadt fand. mitten in der verkehrshektik der
städtischen betriebsamkeit. sein fell war dicht und borstig, sein
geruch so naturnah, dass die menschen in ihren business-outfits
furchtsam einen großen bogen um ihn machten, um nur ja nicht mit ihm
in berührung zu geraten.
doch
er ignorierte sie einfach. stand dort. unverrückbar und grunzte.
ungeniert, laut und genüsslich. so fremd war der klang seiner laute
hier in der city, dass er sich von all den motorengeräuschen,
klappernden absätzen eifriger büro-ladies, fahrradklingeln und
straßenbahngebimmel und -gequietsche abhob. wie ein ton, der
herausfiel aus dem ganzen, weil er nicht hierhergehörte und dennoch
sein ganz eigenes revier damit in anspruch nahm.
sein
blick war auf sie gefallen.
sie
war abwartend erst einmal still stehengeblieben. war einerseits auf
der hut, andererseits wollte sie dieses stolze tier nicht
verschrecken oder gar gegen sie aufbringen. ihr instinkt sagte ihr,
dass es sich ebenso ein klein wenig fremd in seinem eigenen revier
hier fühlte wie sie auch manchesmal. so, wie sie sich hinter der
fassade der ruhigen, unnahbaren versteckte, ahnte sie, dass seine
fassade des lauten, wilden tieres etwas verbarg, das sich nach
sanftheit sehnte. nach berührt-werden und stillhalten-dürfen, ganz
ohne gefahr.
sie
streckte sachte die hand nach ihm aus. zwischen ihnen lagen noch gut
vier, fünf meter. dennoch knisterte das fell des keilers leise und
einige der borsten richteten sich auf, als würden sie elektrisch
angezogen von ihren fingern. auch sie konnte ein zartes kribbeln in
ihren fingerspitzen wahrnehmen.
gebannt
von der gegenseitigen anziehung, bewegten sie sich aufeinander zu.
langsam, dennoch stetig und von einer neugier getrieben, die mehr war
als bloßer wissensdurst.
er
reichte ihr bis an die taille. seine hauer waren stattlich, wie seine
ganze erscheinung und standen in starkem kontrast zu ihrer zartheit.
doch in seinen augen lagen ein erkennen und eine einladung. sanft
glänzten sie ihr entgegen, während sie einen fuß vor den anderen
setzte.
er
war mitten auf der kreuzung und den darauf verlaufenden
straßenbahnschienen stehen geblieben, doch anstatt – wie sonst
auch – wütend zu bimmeln, hielt der wagenführer den zug einfach
an. auch die anderen fahrzeuge und passanten waren zum stillstand
gekommen. erstarrt, als hätte eine unsichtbare hand den film
angehalten. nur noch sie und der keiler. keine geräusche drangen zu
ihnen durch. nicht die kleinste regung.
der
keiler grunzte noch einmal leise und schüttelte seinen massigen
kopf, als sie ganz langsam vor ihm in die hocke ging. ihr herz schlug
bis zum hals. doch das sehnen war erwacht und einfach stärker als
jede furcht. sie musste ihn berühren!
vorsichtig
legte sie ihre hand an seinen nacken. ihre finger berührten weiche,
warme, starke, geschmeidige borsten. ihre augen registrierten sein
zartes, angespanntes zittern, das unter dem fell entlanglief. ihre
nase roch wald, natur, wildheit und leben. dann strich sie über
seine kruppe. sacht. sich vorantastend. neuland erobernd.
er
ließ es geschehen. schließlich lehnte er sich ihr ein wenig
entgegen und schloss die augen. voller vertrauen, voller hingabe.
es
war der moment, in dem sich die senkrechten linien der betonriesen um
sie herum in hohe baumstämme verwandelten. wo jedes fenster äste
trieb, an denen saftiggrüne blätter wuchsen. wo die fußgänger zu
farnbündeln am wegesrand wurden, über die sie so gerne mit ihrer
offenen handfläche striff im vorübergehen. berührung schenkend und
empfangend zugleich. wo autos zu steinbrocken, zu findlingen im wald
wurden, die moosüberwuchert ihren platz gefunden hatten und
stillstanden. vögel flogen hoch über ihnen zwischen den baumwipfeln
hindurch. alles lebte und pulsierte. so wie sie beide aneinander.
mit
ihm war ihre natur zu ihr zurückgekehrt. mit ihr die leisen töne zu
ihm. sie vergrub ihr gesicht an seinem fell. atmete ihn ein.
dann
schwang sie sich auf seinen rücken und ließ sich von ihm
weitertragen. sie beugte sich vor und flüsterte in sein ohr: „du“.
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japanischer garten
reche
unendliche
kreise
in
kies
tauche
unter
wogen
aus
stille
herbstfarben
fällt
fächerahorn
sacht
auf
steine
bette
gedanken
auf
moos
zur
ruhe
davor
und
danach
werden
jetzt
.2009
mein kartograph
mit
trägem finger
malst
du spuren
auf
erhitzter haut
kartographierst
reiserouten
gemeinsamer
wege
nacherzählungen
von
suchen
finden
und
kommen
geschrieben
in
unserer tinte
nur
kurz verweilst du
spürst
nach
dem
beben
der
täler und gipfel
die
wärme meiner erde
trocknet
deine einträge
zu
geheimer inschrift
bevor
sie verblassen
ein
neuer aufbruch
zu
altbekannten zielen
ich
komme dir entgegen
.2009
iron maiden
am
bügelbrett quält sich die iron maiden.
das
eisen in der hand, es wiegt so schwer.
sie
kann das bügeln nun mal gar nicht leiden.
die
beste laune kann es ihr verleiden
stapeln
sich hemden vor ihr, hoch und quer:
am
bügelbrett quält sich die iron maiden.
umsonst
versucht das iron sie zu meiden,
schiebt
tagelang die pflicht so vor sich her.
sie
kann das bügeln nun mal gar nicht leiden!
noch
schlimmer ist es, sind die hemden seiden!
das
allerdings erschwert die sache sehr.
am
bügelbrett quält sich die iron maiden...
zum
handeln mag sie sich noch nicht entscheiden.
noch
ein tag länger falten? kein malheur!
sie
kann das bügeln nun mal gar nicht leiden.
wünscht
sich, der liebste würd sich hemdlos kleiden.
sie
will nicht hausfrau sein, wär lieber spediteur!
am
bügelbrett quält sich die iron maiden.
sie
kann das bügeln nun mal gar nicht leiden...
.2009
fossiles
deine worte rieselten in mich
vor jahrmillionen
sandkörnern gleich
verunreinigungen meiner selbst
ich hüllte sie in perlmutt
meiner gedanken
kreisend um die partikel
deiner hinterlassenschaft
wer mich öffnet
heute
findet dich
nicht mehr in mir
auskristallisiert
abgestoßen
konserviert
hab ich deine ideen
von mir
gewandelt
zu einem selbst
die nächsten jahrmillionen
überdauernd
.2010
vor jahrmillionen
sandkörnern gleich
verunreinigungen meiner selbst
ich hüllte sie in perlmutt
meiner gedanken
kreisend um die partikel
deiner hinterlassenschaft
wer mich öffnet
heute
findet dich
nicht mehr in mir
auskristallisiert
abgestoßen
konserviert
hab ich deine ideen
von mir
gewandelt
zu einem selbst
die nächsten jahrmillionen
überdauernd
.2010
Seismisches (Love-Wellen)
da
sind noch immer
spuren
von dir
in
den gängen
meines
hörens
meines
sehens
meines
fühlens
gesammeltes
regenwasser
in
den vertiefungen
deiner
fußabdrücke
bereit
beim
leisesten
nebelhaftesten
sanftesten
hauch
des erinnerns
von
dir erschüttert
zu
werden
.2010
Metamorphose
ER hatte sich verpuppt.
Im hintersten Winkel seiner Wohnung, an einem schwer zugänglichen Ort.
Eine neugierige Nachbarin hatte den Hausbesorger gerufen, als sich vor seiner Wohnungstür die Zeitungen dreier Wochen stapelten. Und der wiederum hatte wegen des schweren Sicherheitsriegels Feuerwehr und Polizei verständigt. Nachdem die Eingangstür aus den Angeln gehoben worden war, war ihnen zunächst ein Schwall abgestandener Luft entgegengeströmt, der den Geruch von Verwesung zur Erleichterung aller vermissen ließ. Stattdessen hing nun ein Duft im Raum, der schwer einzuordnen war.
Anders als in bewohnten Räumen, wo es - wenn auch in unterschiedlichem Maße - immer nach Körperausdünstungen, Essensgerüchen, schlimmstenfalls verdorbenen Lebensmitteln oder immer häufiger auch Raumdeodorants duftete, fiel hier das Fehlen ebendieser auf. Es roch beinah unerklärlich "sauber", unpersönlich. Dennoch - er musste daheim sein! Sein hingeworfener Schlüsselbund in der Schale auf dem Flurtischchen, seine achtlos abgestreiften Schuhe in der Flurmitte und die an die Wand gelehnte braune Aktenmappe sprachen eine deutliche Sprache.
Als der Hausmeister, eskortiert von zwei Polizeibeamten, der neugierigen Nachbarin und einem Feuerwehrmann, in die Wohnung vordrang, fiel auf, dass der Schall ihrer Geräusche immer leiser wurde. So, als würde er mit jedem Meter, den sie tiefer in die Behausung eindrangen, mehr absorbiert, verschluckt, von der Wohnung aufgenommen. Und nun sahen sie auch die Ursache dafür: Wände, Decken, Möbel, ja selbst Türblätter und Schranktüren waren mit Büchern überzogen. Die Bücher waren allesamt mit deren Buchrücken an den Untergrund geklebt und zwar in einem Abstand und Winkel, dass jedes einzelne Buch aufgefächert an das nächste stieß und so eine Art papierenen Schuppenpanzer bildete.
Es musste eine Heidenarbeit gewesen sein, die gut vierzig Quadratmeter große Wohnküche sowie das Schlafzimmer und das hintere Ende des Flurs derart auszukleiden. Von der Menge an Büchern und Klebstoff ganz zu schweigen. Jedenfalls wirkte diese Oberfläche wie ein perfekter Schallschlucker. Der fehlende Nachhall der von ihnen verursachten Geräusche wirkte eigenartig beklemmend auf die Expedition in Wohnung 6, Ressergasse 57, 2. Etage.
Es war, als würden sich alle ihren nächsten Atemzug und jede Bewegung zweimal überlegen.
Von IHM jedoch fehlte jede Spur. Manche Möbelstücke waren kaum zu erkennen in ihrer Hülle aus Papierfächerschuppen. Der ständige Wechsel von kleinsten Schatten- und Lichtflächen erschwerte das Ausmachen eindeutiger Konturen. Dort drüben schien sich eine Art Wohnwand befunden zu haben, die nun aussah wie eine Nische in einer zu hell und sauber geratenen Höhle. Sofa und Couchtisch waren da schon eindeutiger zu erkennen und bildeten zwei flache Hügel auf dem Boden. Doch was sich in der Nische zwischen der durch ein Barteil vom Wohnbereich abgetrennten offenen Küche und dem Esstisch befand, gab allen ein Rätsel auf.
Ein Sekretär vielleicht, tippte einer der Polizeibeamten. Doch dafür war die Gesamtform zu rundlich und zu schmal, kam man schließlich - flüsternd - überein.
Es war die Nachbarin, die schließlich neugierig nähertrat und mit einem leisen, von den Wänden erstickten Aufschrei auf eine kleine, eingetrockente Pfütze unter dem Objekt deutete. Erst jetzt fiel ihnen auf, dass das Objekt nicht auf dem Boden stand, sondern ebenfalls an der Wand zu haften schien. Angesichts dessen, dass es beinah menschengroß war, fanden sie diesen Umstand höchst erstaunlich. Außerdem war es als einziges nicht von aufgeschlagenen Büchern umhüllt, sondern von einer Masse, die eher an Pappmachee erinnerte. An manchen Stellen waren noch einzelne Wortfragmente erkennbar. Der Großteil der Oberfläche aber war ein verwischtes Weißgraubeige. Für Pappmachee war die Oberfläche aber andererseits nicht fest genug. Wenn man zudem genau hinsah, meinte man ein leichtes Schwingen der Hülle wahrzunehmen. Wie eine sanfte, einzige Welle, die die Form immer und immer wieder an deren Oberfläche überlief.
Einer der Polizisten tippte - vom Mut plötzlich entflammten Forschergeistes getrieben - mit seinem Schlagstock an das Objekt.
Zunächst geschah überhaupt nichts. Doch dann hörten sie es: ein leises Knistern erst, vermischt mit trockenem Rascheln. Dann ein lauteres Knacken und ein Ruck, der das "Ding" ein wenig in Vorlage kippen ließ.
Alle sprangen erschrocken zurück. Der Feuerwehrmann und der Hausbesorger gerieten dabei ins Straucheln und landeten rücklings zwischen tausenden Buchfächern, die dieses mit einer Geräuschlawine raschelnden, knisternden Papiers quittierten. Das laute Ritschratschen und Reißen hunderter, wenn nicht tausender Seiten, an denen sie im Fallen nach Halt suchten, schmerzte in den Ohren und klang dermaßen unirdisch, dass alle von Panik erfasst wurden.
Doch am unirdischsten von all dem war der nicht enden wollende Schrei der Nachbarin angesichts der Kreatur, die nun aus dem Riss in der Hülle drängte, zu Boden glitt und sich dort schlängelte und wand.
Sie schlüssig zu beschreiben, war keiner der im Anschluss daran in die geschlossene Abteilung verbrachten Augenzeugen in der Lage.
Den Protokollen zufolge musste in der Wohnung ein Halluzinogen unbekannter Herkunft und Zusammensetzung freigesetzt worden sein. Dieses musste auch dazu geführt haben, dass einer der Polizeibeamten in geister Verwirrtheit versucht hatte, mit einer entzündeten Kerze - wie er später angab - ein Möbelstück, vermutlich einen "verdächtigen Sekretär", zu inspizieren, der dabei in Brand geraten war.
Das Objekt 6, Ressergasse 57 war infolgedessen komplett ausgebrannt. Brandexperten konnten sich in keinster Weise die Geschwindigkeit erklären, mit der der Brand um sich gegriffen hatte. Der Fall würde für immer ein Rätsel bleiben und fand später sogar Eingang in Fachliteratur zum Bereich unerklärter Brandphänomene.
Unerklärlich blieb den Ärzten der psychiatrischen Abteilung vor Ort auch, weshalb alle fünf Patienten unablässig und fast zwanghaft wiederholten, der Mieter der Wohnung müsse ein echter Lesefanatiker und Bücherwurm gewesen sein. Der wahre Anlass für die Panik und das tiefsitzende Trauma allerdings war ihnen auch unter Einsatz von Regressionshypnose nicht zu entlocken.
Man legte den Fall - als klar wurde, dass man hier nicht weiterkommen würde - schließlich zu den Akten.
.2011
Im hintersten Winkel seiner Wohnung, an einem schwer zugänglichen Ort.
Eine neugierige Nachbarin hatte den Hausbesorger gerufen, als sich vor seiner Wohnungstür die Zeitungen dreier Wochen stapelten. Und der wiederum hatte wegen des schweren Sicherheitsriegels Feuerwehr und Polizei verständigt. Nachdem die Eingangstür aus den Angeln gehoben worden war, war ihnen zunächst ein Schwall abgestandener Luft entgegengeströmt, der den Geruch von Verwesung zur Erleichterung aller vermissen ließ. Stattdessen hing nun ein Duft im Raum, der schwer einzuordnen war.
Anders als in bewohnten Räumen, wo es - wenn auch in unterschiedlichem Maße - immer nach Körperausdünstungen, Essensgerüchen, schlimmstenfalls verdorbenen Lebensmitteln oder immer häufiger auch Raumdeodorants duftete, fiel hier das Fehlen ebendieser auf. Es roch beinah unerklärlich "sauber", unpersönlich. Dennoch - er musste daheim sein! Sein hingeworfener Schlüsselbund in der Schale auf dem Flurtischchen, seine achtlos abgestreiften Schuhe in der Flurmitte und die an die Wand gelehnte braune Aktenmappe sprachen eine deutliche Sprache.
Als der Hausmeister, eskortiert von zwei Polizeibeamten, der neugierigen Nachbarin und einem Feuerwehrmann, in die Wohnung vordrang, fiel auf, dass der Schall ihrer Geräusche immer leiser wurde. So, als würde er mit jedem Meter, den sie tiefer in die Behausung eindrangen, mehr absorbiert, verschluckt, von der Wohnung aufgenommen. Und nun sahen sie auch die Ursache dafür: Wände, Decken, Möbel, ja selbst Türblätter und Schranktüren waren mit Büchern überzogen. Die Bücher waren allesamt mit deren Buchrücken an den Untergrund geklebt und zwar in einem Abstand und Winkel, dass jedes einzelne Buch aufgefächert an das nächste stieß und so eine Art papierenen Schuppenpanzer bildete.
Es musste eine Heidenarbeit gewesen sein, die gut vierzig Quadratmeter große Wohnküche sowie das Schlafzimmer und das hintere Ende des Flurs derart auszukleiden. Von der Menge an Büchern und Klebstoff ganz zu schweigen. Jedenfalls wirkte diese Oberfläche wie ein perfekter Schallschlucker. Der fehlende Nachhall der von ihnen verursachten Geräusche wirkte eigenartig beklemmend auf die Expedition in Wohnung 6, Ressergasse 57, 2. Etage.
Es war, als würden sich alle ihren nächsten Atemzug und jede Bewegung zweimal überlegen.
Von IHM jedoch fehlte jede Spur. Manche Möbelstücke waren kaum zu erkennen in ihrer Hülle aus Papierfächerschuppen. Der ständige Wechsel von kleinsten Schatten- und Lichtflächen erschwerte das Ausmachen eindeutiger Konturen. Dort drüben schien sich eine Art Wohnwand befunden zu haben, die nun aussah wie eine Nische in einer zu hell und sauber geratenen Höhle. Sofa und Couchtisch waren da schon eindeutiger zu erkennen und bildeten zwei flache Hügel auf dem Boden. Doch was sich in der Nische zwischen der durch ein Barteil vom Wohnbereich abgetrennten offenen Küche und dem Esstisch befand, gab allen ein Rätsel auf.
Ein Sekretär vielleicht, tippte einer der Polizeibeamten. Doch dafür war die Gesamtform zu rundlich und zu schmal, kam man schließlich - flüsternd - überein.
Es war die Nachbarin, die schließlich neugierig nähertrat und mit einem leisen, von den Wänden erstickten Aufschrei auf eine kleine, eingetrockente Pfütze unter dem Objekt deutete. Erst jetzt fiel ihnen auf, dass das Objekt nicht auf dem Boden stand, sondern ebenfalls an der Wand zu haften schien. Angesichts dessen, dass es beinah menschengroß war, fanden sie diesen Umstand höchst erstaunlich. Außerdem war es als einziges nicht von aufgeschlagenen Büchern umhüllt, sondern von einer Masse, die eher an Pappmachee erinnerte. An manchen Stellen waren noch einzelne Wortfragmente erkennbar. Der Großteil der Oberfläche aber war ein verwischtes Weißgraubeige. Für Pappmachee war die Oberfläche aber andererseits nicht fest genug. Wenn man zudem genau hinsah, meinte man ein leichtes Schwingen der Hülle wahrzunehmen. Wie eine sanfte, einzige Welle, die die Form immer und immer wieder an deren Oberfläche überlief.
Einer der Polizisten tippte - vom Mut plötzlich entflammten Forschergeistes getrieben - mit seinem Schlagstock an das Objekt.
Zunächst geschah überhaupt nichts. Doch dann hörten sie es: ein leises Knistern erst, vermischt mit trockenem Rascheln. Dann ein lauteres Knacken und ein Ruck, der das "Ding" ein wenig in Vorlage kippen ließ.
Alle sprangen erschrocken zurück. Der Feuerwehrmann und der Hausbesorger gerieten dabei ins Straucheln und landeten rücklings zwischen tausenden Buchfächern, die dieses mit einer Geräuschlawine raschelnden, knisternden Papiers quittierten. Das laute Ritschratschen und Reißen hunderter, wenn nicht tausender Seiten, an denen sie im Fallen nach Halt suchten, schmerzte in den Ohren und klang dermaßen unirdisch, dass alle von Panik erfasst wurden.
Doch am unirdischsten von all dem war der nicht enden wollende Schrei der Nachbarin angesichts der Kreatur, die nun aus dem Riss in der Hülle drängte, zu Boden glitt und sich dort schlängelte und wand.
Sie schlüssig zu beschreiben, war keiner der im Anschluss daran in die geschlossene Abteilung verbrachten Augenzeugen in der Lage.
Den Protokollen zufolge musste in der Wohnung ein Halluzinogen unbekannter Herkunft und Zusammensetzung freigesetzt worden sein. Dieses musste auch dazu geführt haben, dass einer der Polizeibeamten in geister Verwirrtheit versucht hatte, mit einer entzündeten Kerze - wie er später angab - ein Möbelstück, vermutlich einen "verdächtigen Sekretär", zu inspizieren, der dabei in Brand geraten war.
Das Objekt 6, Ressergasse 57 war infolgedessen komplett ausgebrannt. Brandexperten konnten sich in keinster Weise die Geschwindigkeit erklären, mit der der Brand um sich gegriffen hatte. Der Fall würde für immer ein Rätsel bleiben und fand später sogar Eingang in Fachliteratur zum Bereich unerklärter Brandphänomene.
Unerklärlich blieb den Ärzten der psychiatrischen Abteilung vor Ort auch, weshalb alle fünf Patienten unablässig und fast zwanghaft wiederholten, der Mieter der Wohnung müsse ein echter Lesefanatiker und Bücherwurm gewesen sein. Der wahre Anlass für die Panik und das tiefsitzende Trauma allerdings war ihnen auch unter Einsatz von Regressionshypnose nicht zu entlocken.
Man legte den Fall - als klar wurde, dass man hier nicht weiterkommen würde - schließlich zu den Akten.
.2011
treibgut
von sommers
brise
an deine ufer
getrieben
möchte ich
stranden
sacht
durch das
schilf
gleiten
mit meiner
alten
wettergegerbten
hölzernen
zille
sanft auf
sand laufen
und mit
weichen stricken
verankern
an deinem
steg
.2008
Labels:
das leben,
die liebe,
freier vers,
kleinschreibung,
zweisamkeit
speisekarte zu dritt
„ich notiere:
eine bluse, hellblau.
eine hose, grau.
ein blazer, dunkelblau mit floralem muster.“ sagt der mann.
„welche unterwäsche haben sie ihrer mutter mitgebracht?
schuhe sind nicht erlaubt, das wissen sie?“ fragt er meine schwester in mechanischem tonfall und blickt dabei nicht von seinem formular hoch.
(wohin auch?)
unterbricht damit unsere eigene mechanik, die bis dahin so gut funktionierte.
„keine unterwäsche“ stottert diese
„ich dachte, die braucht sie ja nun nicht mehr...“.
peinliche schweigeminute.
ertappt lasse ich die tasche mit mutters schuhen verstohlen hinter meinem rücken verschwinden.
herinnen ist es kühl, während draußen spätsommerliche hitze drückt.
die parkanlage draußen ist wunderschön.
mutter wird es hier noch ein paar tage gut aushalten können, teilt uns der mann soeben mit, nachdem er das letzte häkchen gemacht hat.
und gestempelt. mit gerunzelter stirn.
mechanisch.
gesagt hat er etwas anderes.
nämlich: „sie sollten rasch für die beisetzung sorgen. wir können den leichnam nicht länger als drei tage hier lagern.“
lagern.
das hat er gesagt.
im beerdigungsinstitut legt uns die auffallend vergnügte dame einen zerfledderten ordner vor.
wie eine billig gemachte speisekarte im china-restaurant an der ecke:
ausgebleichte fotos, schief eingeklebt,
handbeschriftet, eselsohrig.
alte preise durchgestrichen,
die neuen einfach drübergekritzelt.
durch viel zu viele hände gegangen.
sterben ist wohl nichts exklusives.
einmal holzsarg, süß-sauer.
ohne reis, bitte. kinderportion.
sie war so winzig zuletzt. so fragil. so fremd.
meine schwester und ich treten hinaus in das sonnenlicht des unwirklichen tages.
verloren.
„weißt du, was mama gemacht hätte, wenn sie diesen katalog gesehen hätte?“ fragt sie mich.
wir blicken uns an.
und lachen, bis uns die tränen über die wangen fließen.
lange. zu lange gab es nichts zu lachen.
wenn wir etwas gut konnten zu dritt, dann das: lachen aus vollem herzen.
lachen, bis die rippen
schmerzen.
.2008
eine bluse, hellblau.
eine hose, grau.
ein blazer, dunkelblau mit floralem muster.“ sagt der mann.
„welche unterwäsche haben sie ihrer mutter mitgebracht?
schuhe sind nicht erlaubt, das wissen sie?“ fragt er meine schwester in mechanischem tonfall und blickt dabei nicht von seinem formular hoch.
(wohin auch?)
unterbricht damit unsere eigene mechanik, die bis dahin so gut funktionierte.
„keine unterwäsche“ stottert diese
„ich dachte, die braucht sie ja nun nicht mehr...“.
peinliche schweigeminute.
ertappt lasse ich die tasche mit mutters schuhen verstohlen hinter meinem rücken verschwinden.
herinnen ist es kühl, während draußen spätsommerliche hitze drückt.
die parkanlage draußen ist wunderschön.
mutter wird es hier noch ein paar tage gut aushalten können, teilt uns der mann soeben mit, nachdem er das letzte häkchen gemacht hat.
und gestempelt. mit gerunzelter stirn.
mechanisch.
gesagt hat er etwas anderes.
nämlich: „sie sollten rasch für die beisetzung sorgen. wir können den leichnam nicht länger als drei tage hier lagern.“
lagern.
das hat er gesagt.
im beerdigungsinstitut legt uns die auffallend vergnügte dame einen zerfledderten ordner vor.
wie eine billig gemachte speisekarte im china-restaurant an der ecke:
ausgebleichte fotos, schief eingeklebt,
handbeschriftet, eselsohrig.
alte preise durchgestrichen,
die neuen einfach drübergekritzelt.
durch viel zu viele hände gegangen.
sterben ist wohl nichts exklusives.
einmal holzsarg, süß-sauer.
ohne reis, bitte. kinderportion.
sie war so winzig zuletzt. so fragil. so fremd.
meine schwester und ich treten hinaus in das sonnenlicht des unwirklichen tages.
verloren.
„weißt du, was mama gemacht hätte, wenn sie diesen katalog gesehen hätte?“ fragt sie mich.
wir blicken uns an.
und lachen, bis uns die tränen über die wangen fließen.
lange. zu lange gab es nichts zu lachen.
wenn wir etwas gut konnten zu dritt, dann das: lachen aus vollem herzen.
lachen, bis die rippen
schmerzen.
.2008
Hart durchgegriffen
Da
liegt es wieder,
dieses
leere Blatt.
Wie
hab ich diesen Anblick
schon
so restlos satt!
Liegt
da und grinst
vom
Tisch unschuldig weiß mich an.
Erinnert
fies und feixend mich,
dass
ich nichts schreiben kann.
Leer
gähnt der Bogen
mir
gelangweilt ins Gesicht.
Als
wollt er höhnen:
„Komm
schon! Schreib doch ein Gedicht...“
„Na
wart, dich knüll ich klein,
du
Stückchen Zellulose!
Ab
in den Müll mit dir -
schon hat sie sich, die Chose!“
.2008
Wann?
Wer
sah schon eines Faunes Augen?
Nachtblau
sind sie und funkeltief.
Er
lag im Morgentau und schlief.
Vermocht
ihn derart auszulaugen
das
Flötenspiel, welches ihn rief?
Erschöpfte
ihn der Nymphen Tanz,
voll
Feuersglut in Nächtens Kühle?
Der
Taumel lustvoller Gefühle?
Mitternachtswaldes
Lichterglanz
der
Nachtgestalten Festgewühle?
So
stand ich still, war voll der Fragen,
da
traf mich plötzlich tief sein Blick.
Ich
gab ihn regungslos zurück
und
konnt und wollt und mocht nicht wagen
zu
stör'n mein unfassbares Glück.
Er
sah mich an, bis in die Seele,
erkannte
drin mein ganzes Wesen
als
könnt er all mein Sehnen lesen.
Als
fühlte er, was mir noch fehle,
um
von der Trauer zu genesen.
War's
seine Hand an meiner Wange?
Ich
wagt' es hier nicht zu beschwören.
War's
Trug, der mich so konnt' betören?
Das
frag ich manchmal mich noch bange.
Doch
eines kann ich heut noch hören:
er
sprach: „bald wirst du mir gehören.“
.2009
Grund genug
Milchige Sonnenstrahlen drangen wie
schmale Klingen langer schlanker Dolche zu ihm auf den Grund durch.
Heute, wo es an der Oberfläche
windstill war, tanzten sie nur sachte hin und her und zauberten einen
Wald aus dünnen Lichtstämmen ohne Kronen in das dumpfe Blaugrün
der Umgebung. Nur für ihn. Von seinem Platz zwischen dem Schilf aus,
beobachtete er wie immer im Verborgenen das erregende Schauspiel.
An Tagen mit stärkerem Wind oder wenn
viele Badegäste die Oberfläche des Sees aufwirbelten, gaukelten die
schlanken Strahlen ihm die Kurven ihres milchigweißen Körpers vor.
Als würde sie vor ihm tanzen, ihn necken, meinte er einmal den
anmutigen Schwung ihrer Hüften vor sich zu sehen, ein anderes Mal
ihre atemberaubende Silhouette im Halbprofil. Eingebrannt in sein
visuelles Gedächtnis. Niemals greifbar und stets flüchtig – so,
wie sie damals vor ihm geflüchtet war.
In seinen mit der Zeit hier unten
milchigtrüb gewordenen Augen spiegelten sich diese schwebenden, sich
drehenden Lichtkonturen. Doch niemals auch nur die leisteste Regung
von Gefühl oder Erkennen.
Wie hatte sie ihn damals vom ersten
Moment an, in dem er ihrer ansichtig wurde, gefesselt, sich all
seiner Sinne bemächtigt! Der blasse, helle Teint ihrer zarten,
weichen Haut unter dem hauchdünnen Stoff ihres Sommerkleides, ihre
unschuldig mädchenhafte Anmut, als sie an jenem lauen Sommerabend
allein, sich unbeobachtet fühlend ihr Kleid über den Kopf gezogen
hatte und ins Wasser gewatet war.
Die erfrischende Kühle hatte ihr eine
Gänsehaut von den Schenkeln über ihre Hüften und das Gesäß bis
hin zu ihren perfekten Brüsten geschickt, deren Knospen sofort fest
wurden und sich keck aufrichteten. Das Mondlicht hatte damals ähnlich
milchiges Licht über sie gegossen, wie es nun die Sonnenstrahlen
unter der Wasseroberfläche mit seinem Körper taten, wenn sie über
seine vor sich ausgestreckten, sacht in der Strömung hin und
herwiegenden Arme glitten. So, wie sie es vermutlich auch mit dem
Rest von ihm taten. Doch er hätte den Kopf wenden müssen, um
darüber Gewissheit zu erlangen. Das hatte er nicht ein einziges Mal
getan, seit er hier war. Er war kein Mensch, der jemals
zurückblickte.
Regungslos musste er mit den Anblicken
vorlieb nehmen, die sein Blickfeld kreuzten – ganz wie es ihnen
gefiel. Oft starrte er tage- und nächtelang in die gleiche leere,
undurchdringliche, so beengende Weite vor ihm. Ohne mit einer Wimper
zu zucken. Lediglich die Finsternis wechselte von semitransparentem
Dunkelblaugrün bis hin zu tiefstem Schwarz.
Wären nicht die großen Flusskiesel in
seiner Kleidung gewesen, die ihn am Grund hielten, hätte er sich in
solchen Momenten vorgaukeln können, zu schweben.
Doch sie hatte ihn zurück auf den
Boden der Realität geholt – und noch ein Stück tiefer.
Wie damals.
Auch da meinte er, zu schweben. Er
erinnerte sich nur zu gut an jedes Detail.
Das Geräusch der brechenden Äste, auf
der Jagd durch das Gestrüpp, fort vom Teich in den vermeintlich
schützenden Wald. Ihre panischen Hilferufe, die in hysterisches
Schreien und schließlich flehendes Wimmern übergegangen waren, als
er sie letztendlich überwältigt und zu Boden gerungen hatte. Die
beinah unbändige Kraft ihres verzweifelten Widerstands, der in
diesen so göttlich zarten Gliedern wohnte, mobilisiert einzig vom
Überlebenswillen. Ihr heftiges Keuchen und ihr Angstschweiß. Dazu
das unregelmäßige Aufblitzen ihrer kreidebleichen. makellosen Haut,
wenn auf ihrer beider Verfolgungsjagd durch die Baumkronen das weiße
Mondlicht auf sie fiel.
All diese Eindrücke hatten ihn wie
eine Woge, die im Begriff stand sich hoch aufzutürmen, um mit all
ihrer Gewalt über ihn hereinzubrechen und sie beide in einer
gewaltigen Welle an Gefühl mitzureißen, an einen Punkt der Erregung
gebracht, der mit absolut nichts vergleichbar schien und ihn die Welt
um sich, so wie sie war, vergessen ließ.
Niemals zuvor hatte er in sich eine
solche Lebendigkeit verspürt!
Er hatte die Macht, sich zu nehmen, was
auch immer er wollte. Sie war nur noch eine Armeslänge von ihm
entfernt. Zu Boden gegangen. Vermutlich gestolpert. Das Schicksal
hatte sie also für ihn bestimmt!
Sich zu nehmen, was sein war, würde
der absolute Höhepunkt seines bisherigen Lebens sein. Er war dicht
davor! Und scheinbar hatte sie ihr Schicksal akzeptiert und sich
gefügt. Sie leistete keinen weiteren Widerstand mehr. Er war beinah
ein wenig enttäuscht. Andererseits ließ ihre Gefügigkeit das
Allmachtsgefühl in ihm nur noch mehr anschwellen.
Beinah dankbar war er zwischen ihren
Schenkeln auf die Knie gefallen. Er dankte dieser himmlischen Fügung
und würde ihr immer dankbar sein. Sie war ein Geschenk Gottes!
Seine Hosen waren bereits auf Halbmast,
als der schwere Stein ihn an der Schläfe traf.
Plötzlich war nichts mehr erhebend.
Sein erster und einziger Gedanke,
bereits im Hinübergleiten, war, dass sie ihn hinterhältig in eine
Falle gelockt haben musste. Er war von ihr zutiefst enttäuscht. Der
Fußtritt, mit dem sie ihm sein Nasenbein in sein verworrenes Gehirn
schob, ersparte ihm weitere Enttäuschungen und hüllte ihn in
friedvolle Stille.
Mittlerweile hatte er sich an diese
Stille gewohnt. So ganz ihr Freund war er jedoch nie geworden. Nur
wenn sich Kinder beim Baden in die Nähe seines Schilfgürtels
verirrten, drangen manchesmal Geräusche bis zu ihm auf den düsteren,
schlammigen Boden. Dumpf, wie von weit her, und dennoch viel zu
lebendig für sein Gefühl. Dann suchten auch ab und zu verschreckte
junge Fische Zuflucht in seinem immer noch fassungslos
offenstehenden Mund. Ergriffen Besitz von seinem Körper. Drangen in
ihn ein, ohne zu fragen. Respektlos, wie er fand.
So wie sie damals.
Sein Hinterkopf war eine einzige
Fundgrube an Ästchen, zerbrochenen Schneckenhäusern und kleinen
spitzen Steinen, die sich ins Fleisch gegraben hatten, als sie ihn
den ganzen Weg zurück aus dem Wald durch das Dickicht bis ans
Seeufer gezerrt hatte. Sie war ein raffiniertes Luder gewesen, das
musste er neidlos anerkennen. Die großen Steine in seine Kleidung zu
packen, um ihn danach im Schilf zu versenken, ließ ihn vermuten,
dass sie nicht zu den allerdümmsten gehörte. Vermutlich hatte sie
zu viele Krimis im Fernsehen gesehen. Zu dumm nur, dass er nun hier
ungewollt der Hauptdarsteller im falschen Drehbuch war.
Er hatte sie unterschätzt – das
würde ihm nie wieder passieren.
Ob sie noch an ihn dachte?
Er wäre gekränkt gewesen, wenn nicht.
Er tröstete sich mit dem Gedanken, für immer und ewig der Mann
ihrer Träume zu sein.
Milchige Sonnenstrahlen trafen auf
milchigtrübe Augen und milchigbleiche Haut. Die Wasser waren heute
besonders still. Wie im Jahr zuvor und dem davor stand sie auch heute
wieder am Ufer und feierte ihren Geburtstag. Ohne ihn.
.2010
naturgemalt
es
malt natur
mit
farben, formen
mit
schwüngen
leicht
aufs blatt gelegt
schwelgt
sinnenfroh
in
eignen normen
erschafft,
nur
damit
weggefegt
von
windes hauch
was
grad geworden
für
einen augenblick
war
hier und ganz
war
wahrheit
wesenheit
voll glanz
aus
sich erblüht
gleich
drauf gestorben
war
im moment
wie's
lebens brauch
leichtfüßig
in
bestimmungs tanz
war
nie zu dauern
wurd
nur ganz
kam,
blieb und ging
so
wie du auch
.2009
zeitenwende
herbstwinde streichen durch auen,
gilbwehend, rau, an leiber,
künden das nahen des winters
noch, noch ist ein glühen, ein letztes
laubfeuer brennt im verblassen
schon kühlt die fäule, graubraun
am grunde, verfalben zinnober und grün,
verästelt blattgold zu adern
wuchsdringen versetzt noch im sinken
mit leben, an wurzeln, an quellen
zieht es, tagunter
in tiefen, wärmenden schoß.
.2011
gilbwehend, rau, an leiber,
künden das nahen des winters
noch, noch ist ein glühen, ein letztes
laubfeuer brennt im verblassen
schon kühlt die fäule, graubraun
am grunde, verfalben zinnober und grün,
verästelt blattgold zu adern
wuchsdringen versetzt noch im sinken
mit leben, an wurzeln, an quellen
zieht es, tagunter
in tiefen, wärmenden schoß.
.2011
waldläufer
ging in den zwischenräumen
unsrer birkenwälder verloren
da, wo herbstlaub weiße leinwand
mit rostrot in senkrechte
streifen schneidet
heile welt zerteilt
in schmale abschnitte
ohne raum für mich
dünner als lesezeichen
noch ungeschriebener bücher
so viele geschichten
wollten wir sein
du hast mich
weggeblättert
.2012
unsrer birkenwälder verloren
da, wo herbstlaub weiße leinwand
mit rostrot in senkrechte
streifen schneidet
heile welt zerteilt
in schmale abschnitte
ohne raum für mich
dünner als lesezeichen
noch ungeschriebener bücher
so viele geschichten
wollten wir sein
du hast mich
weggeblättert
.2012
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